Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (29. Juli 2012)
 
Debatte ums beste Stück
 

   Ein liebenswürdiger Kollege hat mir neulich erzählich, dass er meine letzte Kolumne seinem Sohn vorgelesen hat. Die Kolumne war nicht ausdrücklich für Kinder geschrieben, umso mehr hat mich das gefreut. Der Text handelte von Schildkröten.

   Ich bin mir nicht sicher, ob der Kollege diesen Text auch seinem Sohn vorlesen sollte. Vielleicht liest er ihn vorher selbst und entscheidet dann. Aber vielleicht ist es auch wurscht, meist sind die Kinder weiter, als wir denken.



   In der Titelgeschichte des "Zeit-Magazins" steht diese Woche das männliche Glied im Mittelpunkt. Ich schrieb bewusst "männliches Glied". Man liest das oft, obwohl das weibliche Glied die Ausnahme ist. Soweit ich das beurteilen kann, vertritt die Autorin die Meinung, dass der Penis in der Öffentlichkeit ein Schattendasein führt. Ob sie das überzeugend begründet, vermag ich nicht zu beurteilen - ich habe den Text nicht zu Ende gelesen. Er war mir zu lang.

   Ich vermute, dass er zu lang war, darf man nur als Mann ungestraft über einen Penis-Text schreiben. Eine Frau würde man Penisneid unterstellen.

   Die seitenlange Abhandlung beginnt so: "Welche Frau nicht das Glück hat, mit einem Mann zusammen zu sein, bekommt selten einen Penis zu Gesicht. Penisse lassen sich in der Öffentlichkeit kaum blicken." Ich weiss nicht, in welchen Kreisen die Autorin verkehrt, aber ich würde das auch für Vaginen unterschreiben.

   Hätte ich nicht damit rechnen müssen, dass dieser Text Kindern vorgelesen wird, ich hätte die Penisdebatte womöglich mit dem Sommerloch in Verbindung gebracht. Manchmal schützt der Jugendschutz auch einen alten Mann vor sich selbst.

   Einerseits braucht das kein Mensch, denn es ist ein Irrtum anzunehmen, dass unsere Welt durch die Zurschaustellung von Penissen, etwa in der Werbung und in Schaufenstern, eine bessere wird. Andererseits ist so eine Diskussion immer noch unterhaltsamer als dieses ewige Rettungsschirmgelabere und bringt die armen Griechen aus der Schusslinie.

   Das Feld für eine Penisdebatte ist auch deshalb bestellt, weil die Internetplattform Facebook auf einen "Zeit"-Hinweis wie ein erzkonserativer amerikanischer Präsidentenkandidat reagierte. Sie löschte ein Foto mit einem nackten Mann, obwohl sein Gemächt darauf eher zu erahnen als zu sehen war.



   Da ich seit einiger Zeit unter einem Decknamen ebenfalls auf Facebook unterwegs bin, wollte ich ich diesem Anschlag auf die Pressefreiheit auf den Grund gehen. Ich veröffentliche Texte, in denen ebenfalls ein Penis auftaucht, nicht im Bild, nur im Wort. Auch ein Sommergedicht war darunter. Keiner dieser Texte erregte bei den Sittenwächter von Facebook Anstoss. Das ist umso erstaunlicher, als es vermutlich einfacher ist, einen Penis in einem Text als einen in einem Bild aufzustöbern. Wenn diese Erkenntniss die Penisdebatte beflügelt, würde mich das freuen.
 

 

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