Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (29. Juli 2012)
 
Der letzte Dr.
 

   Es muss am Wetter liegen, dass die Menschen in diesen Tagen zu Kleidungsstücken greifen, die in die Irre führen. Auf dem Flur ist mir ein Kollege mit weissem Schuhen, weisser Hose, weissem Hemd begegnet. Er sah aus wie ein Arzt.

   Wenn ich einen Arzt sehe oder zu sehen glaube, überkommt mich ein schlechtes Gewissen. Ich muss dann an meinen Hausarzt denken, bei dem ich schon ewig nicht mehr war. Ich frage mich, ob der überhaupt existiert, wo ich ihn doch finanziell am Tropf hängen lasse.

   Der letzte Arzt, den ich unterstützt habe, war ein Hautarzt. Er sah gar nicht aus wie ein Arzt. Er trug eine Jeans, ein kariertes Hemd und hatte vermutlich ein paar Semester Psychologie studiert. An einem Fusspilz, sagte er, sterbe man nicht. Hand aufs Herz, würden Sie einem Arzt trauen, der nicht wie einer aussieht?

   Ich finde es schlecht, wenn Ärzte nicht mehr wie Ärzte und Journalisten wie Ärzte herumlaufen. Es reicht ja schon, wenn sich Rentner wie Teenager anziehen. Berufskleidung sollte man nicht unterschätzen. Ich vermute, der gute alte Arztroman hätte nie diese Millionenauflagen erreicht, wenn die Weisskittel keine weissen Kittel getragen hätten. Haben Sie jemals von einem Journalistenroman gehört? Nicht. Das könnte daran liegen, dass meine Zunft es nie zu einer echten Berufskleidung gebracht hat, wenn man von komischen Umhängetaschen absieht.

   In ihrer Freizeit erkennt man Ärzte an Polohemden. Zumindest früher war das so. Ich sass in einer Kneipe mal einem Frauenarzt gegenüber. Er trug ein Lacoste-Hemd. Das Marken-Krokodil auf der Brust stand ab, es hielt nur noch am Schwanz. "Hauptsache, der Schwanz hält", sagt der Frauenarzt und grinste seine Freundin an. Ich überlegte, ob der Satz für einen Arztroman taugt.

   Den einzigen Arzt, den ich regelmässig finanziell unterstütze, ist mein Zahnarzt. Er trägt weisse Klamotten, eine Brille und bohrt wie eine Eins. Ich glaube, er ist der Letzte seiner Arzt.
 

 

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