Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (05. August 2012)
 
Politik des Gestörtwerdens
 

   Mit dem Auto nach Sulden, das muss man erlebt haben, will man die Lage von Frau Merkel in der Euro-Krise wirklich verstehen: Die Strasse schmal und kurvenreich, ein Zickzackkurs. Die Fahrt will kein Ende nehmen, die letzten Kilometer sind ein Ereignis. Dies ist das Ende von der Welt, denkt man, nach der nächsten Kurve stürzt man ins Nichts.



   Doch dann, als man jegliche Hoffnung schon fast aufgegeben und der Magen sich fast rumgedreht hat, kommt es doch noch: Sulden in Südtirol, ein paar Hundert Einwohner. Wer nicht rechtzeitig bremst, ist schon wieder draussen. Raues Klima auf 1900 Meter Höhe, aber nette und recht günstige Hotels - und sehr viel Ruhe. Schöne Berge gibt es, aber auch einen Reinhold Messner in der Nähe. Mann kann halt nicht alles haben.

   Frau Merkel ist mit Mann und Maus im Hotel Marlet (vier Sterne) für eine Woche abgestiegen. Das haben wir zumindestens gelesen. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Diese Redaktion ist nicht gemeinsam mit Frau Merkel die Serpentinen nach Sulden gefahren, keiner von uns hat sie in ihrem Hotel besucht oder eine Wanderung mit ihr gemacht. Die Schilderungen über Frau Merkels Urlaub, den sie inzwischen wahrscheinlich in der Uckermark fortsetzt, sind alle aus zweiter Hand, wir täuschen keine Nähe vor, wo keine ist.

   Aber unsere Redaktion ist nun einmal berühmt für den grossen Reiseteil. Wir waren schon überall, auch in Sulden. Zwar war das im Winter, aber das ist egal. Wir können uns vorstellen, wie diese Woche für Frau Merkel war, nämlich sehr, sehr anstrengend.

   Frau Merkel wollte beim Wandern auf andere Gedanken kommen oder wenigsten mal einen klaren Gedanken überhaupt zu fassen kriegen, aber dann rufen da ständig irgendwelche Regierungschefs und Notenbanker an. "Die Euro-Krise macht keine Ferien", hat eine Zeitung getitelt. Warum eigentlich nicht? Wer hätte einen Urlaub denn jemals nötiger gehabt als der Euro? Warum entspannen sich die Märkte nicht mal?

   Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann praktiziert ja angeblich eine Politik des Gehörtwerdens, aber was da bei Frau Merkel im Hotel ablief, das war eher eine Politik des Gestörtwerdens. WIr wollen gar nicht wissen, wie oft sie am Telefon wieder Nein sagen musste - und schon gar nicht , wozu sie letztlich dann doch wieder Ja gesagt hat.



   Eine Woche lang war die Schuldenkrise auch eine Suldenkrise, die Schuldenberge Suldens Berge. Und was hat's gebracht? Wenn wir die Nachrichten diese Woche richtig verstanden haben, dann geht es in Sachen Euro in Schlangenlinien weiter, immer weiter. Die Franzosen, die Italiener und die Spanier haben offenbar unserer Kanzlerin am Telefon gesagt: Wir müssen noch mehr Gas geben, Frau Merkel. Mit noch mehr Schulden kriegen wir die Schuldenkrise in den Griff. Hören Sie doch auf, immer so zu bremsen, Frau Merkel!

   Haben wir eigentlich schon erwähnt, dass die Strasse nach Sulden eine Sackgasse ist?
 

 

Zurück