Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (16. Dezember 2012)
 
Atännchen, please, der Baum kommt!
 

   O Tannenbaum, was hast Du uns in all den Jahren hinters Licht geführt! Hast uns, vom Kerzenschein mässig erhellt, im Dunkeln gelassen über das Gefahrenpotenzial, dass in Dir lodert. Aber gut, man hätte draufkommen können, dass da was nicht koscher ist. Von wegen "Wie grün sind deine Blätter". Nadeln sind's!

   Als denkende Christenmenschen standen wir Dir nie unkritisch gegenüber. Wir wussten, dass Du nadelst. Aber mein Gott, wir liessen Dir das als lässliche Sünde durchgehen, schienen darin sogar menschliche Züge zu erkennen. Fallen nicht auch unserereinem mit der Zeit die Nadeln vom Kopf?



   Natürlich war uns klar, dass Gefahr in Verzug ist, sobald Du vom Kerzenlicht beschienen wirst. Manche von uns haben auf Strom umgestellt, auf grünen Strom, der wunderbar zu Deinem Kleid passt. Andere, die die Finger vom offenen Feuer nicht lassen mochten, standen, "O du fröhliche" hin oder her, am Heiligen Abend mit Gartenschlauch und Wassereimer in der warmen Stube. Solchermassen gerüstet, schienen wir den Risiken, die Du uns, o Tannenbaum, bescherest, die Stirn bieten zu können.

   Nun aber hat der ADAC, in der Hochzeit der Christbaumbeschaffungsmassnahmen und im Grunde wie alle Jahre wieder, Dir die Maske des schmucken, harmlosen Festbegleiters vom Gesicht gerissen. Der ADAC hat das getan, was er öfter schon mit Dir getan hat - wir aber hatten es, von der Vorfreude aufs Fest betäubt, ausgeblendet. Also hat Dich der ADAC auf das Dach eines Autoschlittens gebunden, Dich mit einem besseren Bindfaden festgezurrt und ist mit Dir gegen einen Poller gedonnert. In diesem Moment, o Tannenbaum, ist uns klar geworden, was Du bist: Ein Geschoss, ein tödliches gar. Bei solchen Szenen bekommt der Begriff Baumsterben mit einem Schlag eine andere Färbung.

   Plötzlich kamen sie wieder hoch, die Bilder der Vergangenheit. Beim Christbaumhändler vorm Supermarkt hatten wir Dich gekauft und Dich lässig, aber nicht ohne Sinn fürs Ästhetische mit Lametta auf dem Autodach fixiert. Nichts böses ahnend sind wir lösgedüst, mit "O Tannenbaum" im Ohr und sechs Glühwein in der Birne. 80 Sachen mögen wir schon auf dem Tacho gehabt haben, als wir durch die Tempo-30-Zone gerauscht sind. Nicht auszudenken, was für einen Schaden Du bei einer Vollbremsung angerichtet hättest.



   Angesichts solcher Schreckensszenarien hat unsere Redaktion beschlossen, gegen das Vergessen anzukämpfen und die Aktion "Christbäume zu Pflugscharen" ins Leben gerufen. Wir sind kein strenggläubiger Verein, nur eine lose Vereinigung von verantwortungsbewussten Christbaumtransporteuren. Die einen haben sich einen Stammhalter aufs Dach geschweisst, der den Baum auch noch bei einer Vollbremsung von Tempo 240 im Zaum hält. Andere setzen beim Transport auf Ochsenkarren. Und falls sich doch mal ein Baum vom Dach lösen sollte, werdet ihr uns an unserem Warnruf erkennen: "Atännchen, please!"
 

 

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