Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (03. Februar 2013)
 
Zuallem fähig
 

   Sie war schön, diese Woche. Überraschend kam der Frühling nach Deutschland, Bäche murmelten, Verliebte turtelten, und in den Strassencafés sassen FDP-Wähler und rührten in ihren Latte-Bechern. Wie? Die FDP? Wieso ...? Tja, machen wir uns nichts vor: Deutschland ist überschwemmt mit Liberalen. Zwei Ereignisse haben diesen Trend sichtbar gemacht. Zum einen die Wahl in einem sogenannten Flächenstaat (Flächenstaaten sind so flach, dass man lange vor der Wahl bereits die Ergebnisse sieht). Dort holte die FDP 9,9 Prozent. In WOrten neun Komma neun Prozent. Also fast zehn. Jedenfalls viel mehr als neun. Die FDP - holt - neun - Komma - neun - Prozent. Das heisst, die Dunkelziffer liberaler Wähler ist höher als befürchtet.

   Man muss aufpassen, dass beim Spaziergang nicht ein Jungliberaler vom Baum fällt oder beim Öffnen der Haustür nicht eine Welle liberalen Gedankenguts in die Wohnung schwappt. Auf Dorffesten und an den Hotelbars wird über den Satz "Freiheit ist immer die Freiheit des Anderstrinkenden" philosophiert, auf den Autobahnen bekommen Liberale eine eigene Überholspur, namhafte Weingüter kreieren eine "Cuvée Silvaner Koch-Mehrin", die feurige Tertiär-Aromen aus der Genschman-Traube und im Abgang einen schwitzigen Nachgeschmack von Niebel-Mützen bereithält.



   Endgültig sichtbar wurde die liberale Neorenaissance durch die von Rainer Brüderle mit gedankenscharfer Noblesse ins Gespräch geworfene Satzfragmente zu einer Journalistin. Noch befasst sich das intellektuelle Deutschland mit der Exegese, während der Urheber schmunzelnd in seinem Partykeller sitzt. "Ich wüe in mein Tanzart anbütn", hatte Brüderle einer Journalistin offenbart, die selbst als intime FDP-Kennerin gilt (sie hat über die Problematik von Mann und Maus bei John Stuart Mill promoviert). Und weiter: "Sie künn ein Dirndl asfüllm." Schliesslich: "Mit jun faun ken ich maus." Was bedeutet das alles? Dem Vernehmen nach entwirrt eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe der Staatlichen Weinbaudomäne Trier die Gedankenstränge.

   Sicher ist aber jetzt schon: Brüderles Worte reihen sich ein in die grossen Reden, mit denen der deutsche Liberalismus die abendländische Tradition der Politiktheorie um den kritischen Diskurs einer auf die privatkapitalistischen Transferbewegungen ausgerichteten Mehrdimensionalität und so weiter. Kurz: Büdele knüpft an seine legendäre Bademantelrede auf der Prunksitzung der FDP Bachem-Saar (oder Brebach-Fechingen?) Anfang der 80er Jahre an, mit der er die Delegierten zu Begeisterungsstürmen hinriss und am Ende ein Dutzend Weinköniginnen in die Reihen schleuderte. Das rhythmische Skandieren "Wer hat sie angemacht? Wir haben sie angemacht!" löst noch heute bei den Seniorenabenden im Dehler-Haus Schenkelklopfen aus.



   Seit dieser Woche ist also klar, dass man wieder rechnen muss mit den Liberalen. Eine Partei, die den Frühling in die Fussgängerzonen zaubert, ist zu allem fähig.

 

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