Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (14. April 2013)
 
Falsch verbunden
 

   Ich bin nicht Kohler. Oder Kohl. Ich arbeite auch nicht bei der Deutschen Bahn. Ich möchte dies an dieser Stelle einmal klarstellen, auch mir selbst gegenüber. Selbst mir sind nämlich in den vergangenen Wochen Zweifel gekommen, ob ich nicht vielleicht doch Herr Kohler bin. Oder Herr Kohl.

   Gut möglich, dass ich verrückt werde. Vielleicht bin ich es schon. Hab ich doch jetzt tatsächlich den ersten Satz aus Max Frischs Roman "Stiller" geklaut - ein klarer Fall von Grössenwahn. Die Frage nach der eigenen Identität - ein kleiner Journalist versucht sich an ganz grosser Literatur. Oder ein kleiner Bahnangestellter, so sieht man mich neuerdings. Und schuld an allem ist Herr Kohler. Oder Herr Kohl. Ich muss vorsichtig sein. Vielleicht stecken ja noch ganz andere dahinter: CIA, Mossad, keine Ahnung.



   Es gab Anrufe, so viel kann ich sagen. Anrufe auf meinem Privathandy. Die Nummer ist so geheim, die kenne ich selbst nicht. Man muss seine Nummer nicht kennen, um telefonieren zu können. Wenn ich sie weitergeben will, dann schaue ich in meinem Telefonverzeichnis unter "eigene Rufnummer" nach und vergesse sie gleich wieder. Die Nummer ist zu lang, um sie sich zu merken. Wer jetzt darauf hinweist, dass meine Frau und meine Kinder die Nummer haben, dem sage ich: Ja, das ist ja der Sinn der Sache, Privathandy! Nur für Privatgespräche! Und lassen Sie verdammt noch mal meine Familie aus dem Spiel!

   Der erste Anrufer hatte gleich drauflos geplappert; "Ja, Herr Kohler, vielen Dank für die Unterlagen, ich hätte da noch ein parr Nachfragen ..." - "Entschuldigung", unterbrach ich ihn, "ich bin nicht Herr Kohler, Sie haben sich verwählt." - "Oh", sagte der Anrufer, "das tut mir leid."

   Aber er hatte sich nicht verwählt. Und all die anderen, die ihm folgen sollten, auch nicht. Herr Kohler von der Deutschen Bahn hatte offensichtlich vor ein paar Wochen in einer E-Mail an mehrere Geschäftspartner seine Handynummer angegeben, die aber meine ist. Meine, meine, meine! Das weiss ich ganz genau. Nur in einem Punkt könnte es sein, dass ich Herrn Kohler Unrecht tue. Vielleicht heisst er auch Herr Kohl, das hört man am Telefon nicht genau. Ich habe auch nie nachgefragt, wie ich denn jetzt richtig heisse, wie hätte das denn ausgesehen! Meine Gesprächspartner und ich waren schon verwirrt genug.



   Ich bin nicht Herr Kohler. Ich will auch nicht Kohler sein. In Daniel Kehlmanns Roman "Ruhm" wird so ein langweiliger Typ wie ich plötzlich von fremden Menschen angerufen, weil seine angeblich neue Handynummer tatsächlilch bereits vergeben ist. Aber da rufen rassige Frauen an, die sich in eindeutiger Absicht treffen wollen. Der langweilieg Typ wird in der ersten Episode des Romans mit einem Draufgänger verwechselt, und das gefällt ihm irgendwann so, dass er in die neue Rolle schlüpft. Ich hingegen wäre nur der Herr Kohler von der Bahn. Das ist für mein zweites Leben nicht aufregend genug - selbst wenn Herr Kohler mit Stuttgart 21 beschäftigt sein sollte.

 

Zurück