Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (18. August 2013)
 
Viel Theater, kein Notausgang
 

   Sommerzeit ist Festivalzeit. Kampferprobte Kunst-Hipster, die seit Monaten das Tageslicht nicht mehr gesehen haben und sich über ihr USB-Kabel ernähren, gehen plötzlich zu Freilichtbühnen, strotzreiche Bürger räkeln sich in Ballettaufführungen und lassen sich danach ein, zwei Tänzerinnen zuführen. Unsere Redaktion Freizeit und Kunst nennt die Festivalhöhepunkte. Auf der Bühne in Bad Segeberg erlebt das politische Theater seine Götterdämmerung. In 160 Bildern wird die Geschichte der Sozialdemokratie von der älteren bis in die jüngere Vergangenheit gezeigt. Die Zukunftszenen entfallen. Arbeiterhände bekommen ein Bier umsonst. Neu inszenierte wird die Farce "(Macht doch,) Was ihr wollt" mit Peer Steinbrück. Der legendäre Mime kommt mit einem einzigen Gesichtsausdruck aus, wobei beide Mundwinkel den Boden berühren.



   In der Hauptstadt veranstaltet die Laienschaubühne im Kanzleramt ihren Tag der offenen Tür. Im Intendantenbüro von Frau Merkel darf jeder einmal an den Fäden der Polit-Marionetten zupfen und sie zum Springen, Tanzen und Wutschnauben bringen. Das Münchener Volkstheater setzt auf Bewährtes. "Horstl in der Metropole" schildert die Odysee eines Bayern, der aus seinem Seniorenheim im Landtag nach Berlin fährt. Er kommt mit einem unehelichen Kind zurück, das alsbald in seinem Büro beschäftigt wird. Die Bühne ist einem Schweizer Schliessfach nachempfunden. Tolle Irrungen und Verwirrungen, Mordsgaudi und der Bayerische Rundfunk überträgt live.

   Die Elektro-Musikszene trifft sich auf einem Piratenschiff in der Ostsee. Über ein Breitbandkabel fliessen Ströme von Aufputschlimonade und Beschimpfungen an Bord. An eine Neuauflage im kommenden Jahr ist nicht gedacht. Beim Airport-Festival für neue Musik in Berlin öffnen und schliessen 800 Mitwirkende die Brandschutzklappen der neuen Bühne in Schöneberg im Rhytmus der Katastrophensinfonie von Hans Eisler. Zugang in den Innenraum über die dritte Landebahn acht Stunden vor Beginn. Achtung: Für die erwarteten 3000 Zuschauer gibt es nur drei Notausgänge, die mit Zementsäcken versperrt sind. Interessant auch die Tournee einer Athener Wanderbühne mit der Tragödie "Das Beben in Theben". Darin soll der Vernunftkönig Samaras den Augiastall mit einer Kuchengabel ausmisten. Auf der Bühne eine naturgetreue Nachbildung des Athener Korruptionssumpfs. Gummistiefel mitbringen!



   Schliesslich wird bei den rheinhessischen Weinfestspielen "Phillipo invincibile" eine Oper in den vier letzten Akten gegeben, die den Aufstieg eines asiatischen Findelkindes am Hof der Nibelungen schildert. Die Feudalherrscher lassen den Emporkömmling gewähren, bis er ihnen gefährlich zu werden droht. Am Ende erdolchen sich alle hinterrücks und besiegeln damit das Ende des Untergang des Liberalismo.

   In weiteren Hauptrollen Rainer Brüderle als betrunkener Gefängniswärter und Hildegard Hamm-Brücher als Kostüm-Norma. Da sollte für jeden etwas dabei sein.

 

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