Sommerzeit ist Festivalzeit.
Kampferprobte Kunst-Hipster, die seit Monaten das Tageslicht
nicht mehr gesehen haben und sich über ihr USB-Kabel ernähren,
gehen plötzlich zu Freilichtbühnen, strotzreiche Bürger räkeln
sich in Ballettaufführungen und lassen sich danach ein, zwei
Tänzerinnen zuführen. Unsere Redaktion Freizeit und Kunst nennt
die Festivalhöhepunkte. Auf der Bühne in Bad Segeberg erlebt
das politische Theater seine Götterdämmerung. In 160 Bildern
wird die Geschichte der Sozialdemokratie von der älteren bis
in die jüngere Vergangenheit gezeigt. Die Zukunftszenen entfallen.
Arbeiterhände bekommen ein Bier umsonst. Neu inszenierte wird
die Farce "(Macht doch,) Was ihr wollt" mit Peer Steinbrück.
Der legendäre Mime kommt mit einem einzigen Gesichtsausdruck
aus, wobei beide Mundwinkel den Boden berühren.

In
der Hauptstadt veranstaltet die Laienschaubühne im Kanzleramt
ihren Tag der offenen Tür. Im Intendantenbüro von Frau Merkel
darf jeder einmal an den Fäden der Polit-Marionetten zupfen
und sie zum Springen, Tanzen und Wutschnauben bringen. Das Münchener
Volkstheater setzt auf Bewährtes. "Horstl in der Metropole"
schildert die Odysee eines Bayern, der aus seinem Seniorenheim
im Landtag nach Berlin fährt. Er kommt mit einem unehelichen
Kind zurück, das alsbald in seinem Büro beschäftigt wird. Die
Bühne ist einem Schweizer Schliessfach nachempfunden. Tolle
Irrungen und Verwirrungen, Mordsgaudi und der Bayerische Rundfunk
überträgt live.
Die Elektro-Musikszene
trifft sich auf einem Piratenschiff in der Ostsee. Über ein
Breitbandkabel fliessen Ströme von Aufputschlimonade und Beschimpfungen
an Bord. An eine Neuauflage im kommenden Jahr ist nicht gedacht.
Beim Airport-Festival für neue Musik in Berlin öffnen und schliessen
800 Mitwirkende die Brandschutzklappen der neuen Bühne in Schöneberg
im Rhytmus der Katastrophensinfonie von Hans Eisler. Zugang
in den Innenraum über die dritte Landebahn acht Stunden vor
Beginn. Achtung: Für die erwarteten 3000 Zuschauer gibt es nur
drei Notausgänge, die mit Zementsäcken versperrt sind. Interessant
auch die Tournee einer Athener Wanderbühne mit der Tragödie
"Das Beben in Theben". Darin soll der Vernunftkönig
Samaras den Augiastall mit einer Kuchengabel ausmisten. Auf
der Bühne eine naturgetreue Nachbildung des Athener Korruptionssumpfs.
Gummistiefel mitbringen!

Schliesslich
wird bei den rheinhessischen Weinfestspielen "Phillipo
invincibile" eine Oper in den vier letzten Akten gegeben,
die den Aufstieg eines asiatischen Findelkindes am Hof der Nibelungen
schildert. Die Feudalherrscher lassen den Emporkömmling gewähren,
bis er ihnen gefährlich zu werden droht. Am Ende erdolchen sich
alle hinterrücks und besiegeln damit das Ende des Untergang
des Liberalismo.
In weiteren Hauptrollen
Rainer Brüderle als betrunkener Gefängniswärter und Hildegard
Hamm-Brücher als Kostüm-Norma. Da sollte für jeden etwas dabei
sein.
|