Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. August 2013)
 
Mainzer Verhältnisse
 

   Alle Augen richteten sich diese Woche auf Mainz, wo sich eine "ortsfeste Bahnanlage der Eisenbahn" befindet, "die Lokführer bei der sicheren Abwicklung von Zugfahrten unterstützt, indem Fahrwegeelemente zentral bedient werden und die Signale in Signalabhängigkeit für den Lokführer nach Prüfung der Elementstellungen gestellt werden". Genau, es handelt sich um das Mainzer Stellwerk, eine Kathedrale des Schienenverkehrs. In den vergangenen Tagen kam es dort zu einer Zusammenballung von Zügen, Passagieren und Reklamationen, die nur mit Hilfe neuester Hochleistungstechnik bewältigt werden konnten.



   Das Mainzer Stellwerk stammt aus Restbeständen des Bahnbetriebswerks Rote Fahne in Chabarowsk. Mittlerweile ist auch die Betriebsanleitung übersetzt. ("Danke, dass sie kauft haben Stellwerk BRU 33. Wichtig: Nix mit falschen Fingern spielen am Knopf für flugsfreie Fahrt von Pfeilzug. Attenz: Nie zwei Züge mit Gesicht voraus auf selber Schiene! Wodka im Kühlschrank hinten links muss immer Vorrat"). Das Stellwerk ist auf die Abwicklung von bis zu drei Zügen (nicht am selben Tag) ausgelegt und macht 1400 Weichenwärter, Streckenläufer, Fahrdienstleiter und Heizer überflüssig, die jetzt im Bahnservice eingesetzt werden: "So, Sie wollen nach Kiel. Schnellstmöglich. Lassen Sie mich mal ... Kempten, Konstanz ... ist übrigens auch sehr schön. Während Kiel kühl sein. Kühl in Kiel, hehehe. Wo, sagen Sie möchten SIe hin ..." Beim Betrieb setzt die Bahn auf Fachkräfte aus Bulgarien. Sie sind in der Lage, das Wort "Gleisfreimeldestelle" zu buchstabieren und können mit einem Arm fünf verrostete Stellhebel verbiegen. Nach einem halben Jahr sind sie erschöpft und werden bei einer Museumsbahn eingesetzt. Frühmorgens schaltet die Reinigungskraft den Strom an und lässt eine Sinfonie des Industriezeitalters erklingen. Kontrolllampen brizzeln, Kabel schmoren, und Sicherungen explodieren. Draussen irren Züge umher, laufen Toiletten über, kollabieren Kaffeeautomaten und Wagenstandsanzeiger. Alle Rädchen greifen ineinander. Das kann nur funktionieren, weil die wichtigsten Befehle direkt aus der Berliner Bahnzentrale kommen.



Wurden schon bisher alle Beschwerden direkt an den Bahnchef Grube durchgestellt ("Danke für Ihren Anruf und dafür, dass Sie durch Ihre Fahrt von Lübeck nach Osnabrück mit Umsteigen in Dingsda mein Gehalt in Höhe von ... na, da würde Ihnen schwarz vor Augen ... ermöglichen"), laufen jetzt auch die mechanischen Drahtzugleitungen vom Mainzer Stellwerk ins Büro des Bahnchefs. Der trägt eine Eisenbahnermütze und eine Uniform mit goldenen Knöpfen und kann an seinem Schaltpult der Spur H0 ganz allein bis zu 15 Regionalzüge aufs Abstellgleis schieben. Seitdem gehen im Bahntower die Lichter nicht mehr aus, heiseres Lachen ertönt aus der Chefetage. "So lustig war es früher nie", bekundete Bahnchef Grube gegenüber unserer Redaktion Reise und Verkehr. Ein Besuch in Mainz lohnt sich also. Man sollte nur etwas Zeit mitbringen.

 

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