Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (06. Oktober 2013)
 
Zwischen den Zeilen
 

   Die Spannung steigt. In dieser Woche wird zum Start der Frankfurter Buchmesse wieder irgendein Buchpreis vergeben. Seit Tagen wird über nichts anderes mehr gesprochen. Und unsere Kolumne, das geschätzte Pflichtblat der deutschen Wertpapierbörse, kennt den Titel der aussichtsreichsten Kandidaten.

   Da wäre etwa das Debüt des Popliteraten Christiano Y. Lindner, de rmit seinem autobiografischen Kochbuch "Mein Haar in der gelben Suppe" bereits zum Shooing Star in der Bahnhofsapotheke von Wanne-Eickel avanciert ist. Seit dem Erscheinungstermin ist Aspirin zum Kauen ausverkauft. Minutiös wird auf 600 Seiten der innere Dialog eines gereiften Schmerzenmannes mit seiner linksliberalen Geheimratsecke beschrieben. Erst im vorletzten Kapitel beginnt so etwas wie Hoffnung zu spriessen. Auf einen zarten Flaum - oder eine Mehrwertsteuersenkung. Eine zutiefst blonde und verstörende Auseinandersetzung mit dem alltäglichen Ich-Verlust in deutschen Badezimmern, jubelte bereits der Kritiker der Hotelier-Umschau.



   Einen entgegengesetzten Irrweg beschreitet Mamalu Dreyer, eine rassige Newcomerin unbekannter Herkunft, die erst vor drei Wochen Lesen und Schreiben gelernt hat. In ihrer experimentellen, einseitigen Brieferzählung "'Schab nix gemacht. Geschichten aus einer Pfälzer Hauptschule" verzichtet sie komplett auf jegliche Psychologisierung, Logik und alles, was den Lesefluss allzu behindern könnte. Intellektuellen Firlefanz wie Konsonanten und Kommata sucht man vergeblich, wer mit wem spricht, bleibt ein Rätsel. Dreyers sozialistischer Poststrukturalismus hat zweifelsohne etwas von der Poesie einer letzten Rolle Raufasertapete. Ein Meisterwerk.

   Auch lesenswert: Silvia Berlusconi. Eine norditalienische Erotomanin, die in ihrer neu aufgelegten Reiseschmonzette "Narziss und Schmollmund" wie gewohnt auf verschwitzte Metaphern und pädophile Anzüglichkeiten im Geiste eines Georges Bataille setzt. Ein einziger Tabubruch, atmosphärisch dicht wie ein eingetrockneter Lasagne-Rest. Die tragische Geschichte handelt von einem bambinohaften Herrenreiter, der mehrfach in High Heels ein schönes, stolzes Land besteigt, es viele Jahre erniedrigt, um am Ende wider Erwartung mit nackter Nudel dumm dazustehen. Aber Vorsicht, der Plot ist dermassen schmierig, dass einem das Buch aus den Händen flutscht.



   So viel Esprit und Emphase hätte man sich auch von Winifried K. Retschmann, der Grand Dame des ökologisch abbaubaren Feuilletons, gewünscht. Doch ihre gesammelten Predigten und Sondierungsgespräche ("Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war") sind eine herbe Enttäuschung, lesen sich so sexy wie der Veranstaltungskalender der Jungen Union oder die Gebrauchsanleitung einer unaufhaltsamen Tunnelbohrmaschine. Immerhin lässt sich das teigige Œuvre gut als Boden für einen original schwäbischen Grünzwetschgenkuchen verwenden. Im vorgeheizten Backofen bei 200 Grad einfach eine Legislaturperiode lang schwarzbacken.

 

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