Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (27. Oktober 2013)
 
Das Recht zu schweigen
 

   Und los geht's. Der Deutsche Bundestag ist am vergangenen Dienstag zu seiner ersten Sitzung in der neuen Legistaturperiode zusammengekommen. Man nennt dies auch die konstituierende Sitzung, wobei allein beim Wort konstituierend derart viele Zuschauer abschalten, dass ARD und ZDF sich auch dieses Jahr entschieden haben, lieber was Leichtes zu senden. Wozu hat man denn den Doku-Kanal Phönix? Sollen die doch das Schweigen des Lammert übertragen.

   Das mit dem schweigenden Lammert war natürlich nur ein blöder Spass. Tatsächlich hört sich Norbert Lammert, der alte und der neue Bundestagspräsident, furchtbar gern reden. Dieses Mal hat er sich in seiner Antrittsrede komischerweise nicht darüber mokiert, dass ARD und ZDF seine Worte nicht live in die grosse, weite Welt tragen. Dafür hat er die rund 15000 Drucksachen kritisiert, die der Bundestag in den vergangenen vier Jahren produzierte. 15000 Drucksachen sind ja auch eine Menge Holz - oder um es mit den betonten Worten des Grossredners Lammert zu sagen: "Es. Sind. Zu. Viele."



   Ds Gleiche hätte Lammert auch über die Abgeordneten sagen können. Sage und schreibe 631 Parlamentarier sitzen im neuen Bundestag, das Ganze nimmt allmählich Ausmasse eines chinesischen Volkskongress an. Gut, direkt nach der deutschen Wiedervereinigung waren es noch mehr, aber da waren auch viele Überschwangmandate dabei.

   Damit's da unten etws leerer wird, hat der Bundestag Herrn Lammert gleich sechs Stellvertreter zur Seite gestellt. Die sind beim Gerangel um Fahrdienste somit schon mal aus dem Verkehr gezogen, weil sie Anspruch auf einen eigenen Wagen haben.

   Falls sich jemand an diesem parlamentarischen Wasserkopf gestossen haben sollte, hat es die Öffentlichkeit nicht mitbekommen, denn die Opposition ist im Bundestag auf eine kaum noch hörbare Grösse geschrumpft. Sollte es zu der ganz grossen Koalition zwischen CDU und SPD kommen, wird es 504 Regierungsabgeordnete geben und nur noch 127 Oppositionelle. Umgerechnet auf ein Fussballspiel, kicken da elf gegen drei, aber derlei sportliche Gedanken haben im Parlament nichts verloren. Deshalb hat man die konstituierende Sitzung auch nicht Kick-off-Meeting genannt.



   Alle machen sich jedenfalls grosse Sorgen um die Opposition. Vielleicht sollte Frau Merkel deshalb, bevor sie eine Regierung bildet, erst mal eine Opposition bilden. Linke und Grüne bringen nicht einmal die benötigten Stimmen für einen Untersuchungsausschuss zusammen, ohne den eine Legistaturperiode nun wirklich fade wäre. Nach dem Desaster mit der FDP sollte die Kanzlerin endlich über ihren eigenen Schatten springen und mit ein paar Leihstimmen rüberkommen.

   Was die Redezeit angeht, sollte man das Ganze allerdings differenziert betrachten. Zwar darf laut Geschäftsordnung die Opposition pro Stunde gerade mal zehn Minuten was sagen, dafür kann sie nun ausgiebig vom schönsten aller Grundrechte Gebrauch machen: Dem Recht zu schweigen.

 

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