Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (16. Februar 2014)
 
Razzia bei Schneewitchen
 

   Es war einmal eine Königin, die kam mit dem Geld ihrer Untertanen nicht aus. Daraufhin liess sie überall im Land verkünden, dass Reiche künftig noch stärker besteuert werden müssten. Dazu zählten auch Märchen-Reiche. Die Behörden taten, wie ihnen befohlen. Um die Märchen-Reichen kümmerte sich dabei die sogenannte Minijob-Zentrale. Aufgabe dieser Einrichtung war es, auch die Untertanen mit nur geringfügigen Beschäftigungen zur Kasse zu bitten, also sich um die 450-Taler-Jobs zu kümmern.

   Bei den Märchen tat sich für die Minijob-Zentrale ein Reich voller neuer Möglichkeiten auf. Schwarzarbeit war hier gang und gäbe. Als Erstes gab es eine Razzia bei Schneewittchen. Sie war offenbar von den sieben Zwergen als Haushaltshilfe angestellt worden, ohne dass dabei die fälligen Abgaben an Staat und Rentenkasse entrichtet worden wären. Hinzu kam, dass die sieben Zwerge tagsüber nach Erz gruben, was die Ermittler Blut lecken liess: Zwerge, die arbeiten - wenn das mal kein meldepflichtiger Minijob ist! Bei den Vernehmungen räumten die Zwerge des Weiteren ein, ihr Erspartes "hinter den sieben Bergen" zu verstecken - ein deutlicher Hinweis auf ein Schwarzgeld-Konto in der Schweiz.

   Frau Holle, dessen Weste bisher dahin schneeweiss gewesen war, geriet ebenso in das Visier der Fahnder. Wie im ganzen Märchen-Reich bekannt, hatte Frau Holle zwei weibliche Haushaltshilfen zu Gast, die ihr die Betten schüttelten. Dies wäre meldepflichtig gewesen! Das fleissige der beiden Mädchen wurde zudem am Ende mit Gold überschüttet. Auch wenn dieses Einkommen etwas überraschend kam, so hätte es doch versteuert gehört.



   Nachträglich nicht mehr zu belangen war leider Dornröschen, obwohl der Königin durch den hundertjährigen Schlaf der Dame eine erkleckliche Summe an Sozialabgaben und Steuern entging. Auch dass Dornröschen nach dem Aufwachen gleich den erstbesten Prinzen heiratete und somit fortan vom Ehegattensplitting profitierte, war zwar ein moralisch fragwürdiges, letztlich aber legitimes Manöver, um Steuern zu sparen.

   Rotkäppchen hingegen bekam bei seinem Bemühen, durch eine Selbstanzeige noch Straffreiheit zu erwirken, einen Korb. Auch wenn man dem Mädchen zugutehalten muss, dass es den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sah, hätte es doch seine Pflege-Tätigkeit für die Grossmutter anmelden müssen. Dann wäre sie auch unfallversichert gewesen und hätte nach dem Zwischenfall mit dem bösen Wolf eine Therapie bekommen.

   Als die Ermittler der Königin meldeten, welche Sozialbetrüger sie im Märchen-Reich alle überführen konnten, befahl die Königin, Schneewittchen und den Rest der Bande an den Pranger zu stellen. In Zusammenarbeit mit einem Puppentheater wurden Werbespots gedreht, die alle Untertanen eindringlich ermahnen sollten, immer und überall an ihre Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Königin zu denken. Und wenn die Untertanen nicht gestorben sind, dann zahlen sie noch heute.

 

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