Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (16. März 2014)
 
Zahlen sind nur Schall und Rauch
 

   Was ist das Chaos? Was versteht man unter Fraktalen? Wie bestimmt man die Mandelbrot-Menge? Welcher normale Mensch kapiert schon die Anlage KAP seiner Steuererklärung?

   Zweifellos: Zahlen sind unendlich faszinierend, weil sie uns stets neue Perspektiven eröffnen. Nehmen wir mal das Swinger-Schiff vom Bodensee, das dieser Tage für Aufregung sorgte. Aus moralischer Sicht ist der Tugendterror des bibeltreuen Lokalpolitikers absolut nachvollziehbar: Sexorgien auf einem der unerotischsten Binnengewässer Europas (Blumeninsel, Hesse) sind verdammenswert, schon wegen des Felchen-Geruchs und der völlig inakzeptablen Kleiderordnung (Latex, Botox, Kleenex).



   Doch ein Mathematiker entdeckt auf so einem Sexdampfer sofort die Poesie der kombinatorischen Möglichkeiten. Allein die Tatsache, dass sechs Personen in einer frivolen Polonaise mathematisch ausgedrückt "sechs Fakultät", sprich 720 Positionen einnehmen könnten, ist einfach herrlich. 720 Permutationen - und danach ein kräftiger Zug aus der Mandelbrotzigarette, das wäre der Himmel auf Erden, oder nicht? Gerade Ehefrauen, die sich schon öfters mal gefragt haben, welche Funktion diese schnarchende Null neben ihnen hat, zeigen sich bei solchen Rechenbeispielen recht angetan, weshalb der Frühbucher-Rabatt für die "MS Schwaben" wie auch die Kettenkostüme im Grossraum Konstanz erfahrungsgemäss schnell vergriffen sind.

   Das Problem an der verführerischen Kombinatorik ist allerdings, dass sich ausgerechnet willensschwache Personen im Dickicht der Nummern oftmals verlieren und am Ende selbst zu einer solchen werden. So hat der geschasste Fussballmathematiker des VfB Stuttgart rasch kombiniert, das alle Kicker dieses Vereins ungefähr gleich schlecht spielen, weshalb er bei den Mannschaftsaufstellungen der letzten Wochen die reine Abstraktion walten liess: Bei elf Stuttgarter Spielern auf dem Platz inklusive Tormann ergibt das elf Fakultät oder knapp 40 Millionen verschiedene VfB-Kombinationen. Was annähernd so viel ist wie die Summe der wirklich guten Witze, die Harald Schmidt in seiner Karriere als Fernsehzyniker gerissen hat oder die Einwohnerzahl der Ukraine abzüglich der Krim und all der durchgeknallten Typen in Uniformen, die kein Mensch braucht. Mit ein wenig Geduld und der Zuhilfenahme der Stringtheorie sowie der numerischen Integration natürlicher Bananenflanken hätte man mit irgendeinem dieser VfB-Kader schon irgendwann die Meisterschaft geholt - oder zumindestens den sicheren Abstieg verhindert.



   Vergebens. Der gemeine Erbsenzähler hat weder die Zeit noch Sinn für komplexe Textaufgaben und kosmischen Zahlenstaub. Stattdessen: Huub, Huub, hurra! Doch was sind schon ein paar Milliönchen Steuerschulden angesichts der unfassbaren Permutationen von 500 Swingern auf der "MS Schwaben"? Und was sind dreieinhalb Jahre Zuchthaus gegen das ewige Gefängnis der begrenzten Möglichkeiten? Ein lauer Tropfen im kühlen Bodensee.

 

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