Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (13. Juli 2014)
 
Der Spion, der aus der Tiefe kam
 

   Es ist höchste Zeit für eine Liebeserklärung an ein verkanntes Tier, den gemeinen Maulwurf. Talpa europaea bildet mit seinen Artgenossen eine Säugetierfamilie aus der Ordnung der Insekten- und Aktenfresser. Diese fleissigen Buddler vertilgen mit Vorliebe ferngesteuerte Regenwürmer und halbverrottete Dienstgeheimnisse, wobei sich im Verdauungstrakt erlegter amerikanischer Exemplare zuletzt auch schmackhafte USB-Sticks unbekannter Herkunft fanden.

   Am sichersten fühlen sich die lichtscheuen Tiere mit dem unwiderstehlichen Schlafzimmerblick in der Anonymität ungelüfteter Büros des Bundesnachrichtendienstes. Ebenso schätzen sie den Morast in sperrangelweit geöffneten Schlüsselministerien sowie den Geranienkübel auf dem Kanzleramtsims, wo sie tagein, tagaus mit ihren Schaufelhändchen das Fundament unserer nationalen Sicherheit aushöhlen.



   Seine besten Tage hatte der Maulwurf zweifelsohne im Kalten Krieg, als in der Bonner Republik eine Stallwächterparty nach der anderen stieg. Dabei kamen dem Maulwurf sein wortkarger Flachschädel sowie der flinke Rüssel zugute, mit dem er zum tradionellen Dämmerschoppen in der baden-württembergischen Dependance Unmengen hochsensibler Daten, rösche Würste und flaschenweise Trollinger wegschlürfte.

   Der Maulwurf wusste zu gefallen. Einerseits kam ihm zugute, dass er gleichermassen vorwärts wie auch rückwärts kriechen kann, was im weitverzweigten Gangsystem einer mittleren Beamtenlaufbahn ungemein karrierefördernd ist. Anderenseits kam sein dichtes, seidiges Fell besonders gut bei den naiven Vorzimmerkäfern der Bonner Republik an, die bald dem Charme seiner unterirdischen Herrenwitze erlagen und sich willig von den erotischen Tasthaaren ausspionieren liessen. Die wertvollen Nachrichten, die der Maulwurf zutage förderte, waren der fruchtbare Humus des 20. Jahrhunderts, inspirierten Freund und Feind, West und Ost, Baumeister (Villa Hügel) und Filmemacher ("Der Spion, der aus der Tiefe kam.").



   Doch wie so viele Geschöpfe auf unserer Erde hat der Mensch auch diesen possierlichen Kerl durch übereifriges Vertrauen in demokratisch gewählte Parlamente und den rücksichtslosen Gebrauch von Alkohol in der freien Natur (Bierschwenne, Public Viewing) so gut wie ausgerottet. Die meisten Maulwurfshügel sind seit dem Fall der Mauer verwaist oder hoffnungslos überdüngt mit Nitraten deutscher Bauerngülle. Es folgten sinnlose EU-Verordnungen, Arbeitslosigkeit, die üblichen Schlechtwetterdepressionen im Juli sowie eine fatale Verflachung des intellektuellen Niveaus - hügellose Fussballrasen, wohin man blickt.

   Manch ein hübscher Maulwurf konnte sich noch eine Zeit lang als Armani-Model über Wasser halten, andere zog es in die Bauwirtschaft. Ein besonders gefrässiges Exemplar mit trübem Tunnelblick schabt nun die Verbindungsröhre zum neuen Stuttgarter Bahnhof aus. Was für ein würdeloser Abgang eines einst stolzen Tieres.

 

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