Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (21. September 2014)
 
Grossstädter in Seehundparkas
 

   Ein Land trocknet. In ganz Deutschland schauten die Menschen diese Woche misstrauisch zum Himmel, betrachteten das sich langsam aufhellende Grau, gossen Wasser aus den Gummistiefeln, holten ihre Haustiere aus den Anglerhosen, schmierten die runzeligen Hände ihrer Kinder mit Lebertranöl ein und strichen gedankenverloren über die Schwimmhäute zwischen den Zehen ihrer Liebhaber und Gespielinnen.

   Der Monsum, jener gnädige Regen, der das Land in den Sommermonaten in einen fein gewebten Teppich aus Schlieren, Nieselzeugs und Sprühnebel hüllte, machte unversehens eine Pause. Meterologen rätseln noch über die Ursachen. Womöglich ist ein in China zu lange in Betrieb genommenes Reisebügeleisen schuld, vielleicht aber auch die dumpf aufsteigende Hitze aus einem Stammlokal der Alternative-für-Deutschland. DIe Deutschen wussten zunächst nichts mit der jähen Trockenheit anzufangen. Grossstadtbewohner, die sich während der Regenzeit in schimmernde Seehundparkas gehüllt hatten, reagierten am schnellsten und liessen sich beim Barbier den von Seetang und Muscheln bevölkerten Vollbart stutzen. Passanten beobachteten, wie die braunen Fluten verloren geglaubte Autos, Fahrräder, Lebenspartner und Festzinsanlagen entliessen. Experten warnen vor massenhaft austrockenden Gehirnen und Einbussen bei der Schimmelmaisernte. Klimaforscher rechnen damit, dass Deutschland wegen der raschen Trocknung auf ein Drittel seiner Grösse zusammenschnurzelt.



   Als hätte der Monsum nicht schon genügend Schäden angerichtet. In Niedersachsen versank ein Schützenverein bis zum Hals im Wasser, es kam zu Fehlschüssen gegen Tiere, Zuwanderer und Freikirchler. Bei einem pfälzischen Weinfest kam es zu Tumulten, weil das Dekolleté der lokalen RIeslingskönigin in den Zustand der Feuchtigkeitstranzparenz überging. Aus einem Sumpf nahe Erfurt wurden die Reste der FDP geborgen. Sie sollen jetzt behutsam getrocknet werden und gehen ins Haus der Geschichte nach Bonn. In Brüssel blähte sich der eurokratische Wasserkopf (Hydrocephalus eurokratiae) über das normale Mass hinaus auf und brachte die Statik der Gemeinschaft ins Wanken. Teile des Palais Berlaymont schwammen auf und treiben jetzt führungslos durch den Kontinent.

   Nur jene verschwiegende, still an der Grossstadthast vorbeiträumende Spezies der Pilzsammler jubelt innerlich. An durchfeuchteten Bushaltestellen, in aufgegebenen Bürofluchten der Investmentbanken, im Parlament und auf öffentlichen Toiletten spriessen Parasole, Krause Glucken, Hexenröhrlinge und Herbsttrompeten, die liebgewonnenen Kameradie des Sporen-Fetischisten. Pilze gelten schon jetzt als die neuen Golden Retriever, tauchen in immer mehr eingetragenen Partnerschaften auf, engagieren sich sozial und machen den Führerschein. Dies ist alles in Gefahr, weil Meterologen doch noch mit einem Jahrhundertsommer rechnen. Es gilt das Dichterwort: Wer jetzt keinen Pilz hat, findet keinen mehr.

 

Zurück