Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (28. September 2014)
 
Briefterror
 

   Weder kenne ich die Niederlande noch Herrn Mustafa Karasahin aus der Gemeinde Dordrecht bei Rotterdam. Gleichwohl sehe ich ich mich gezwungen, mich heute an Sie zu wenden. Auch auf die Gefahr hin, dass von Ihnen mit Massenbriefsendungen eingedeckt zu werden. Sie sind ein unermüdlicher Briefeschreiber, das weiss ich. Ich werde keinen davon beantworten. Nicht einen.

   Diese Woche, lieber Karasahin, sind Sie von einem Gericht verurteilt worden, sich bei Ihrer Gemeinde mit höchstens zwei Briefen pro Monat melden zu dürfen. Aber was erzähle ich Ihnen das, Sie kennen ja das Urteil, das Ihnen per e-Mail zugestellt wurde. Bei mehr als zwei Briefen droht Ihnen Gefängnis.

   In Ihren besten Zeiten haben Sie bis zu 70 Briefe pro Tag ans Rathaus geschrieben, in zwei Jahren kamen 3500 Briefe zusammen. Da die Verwaltung in den Niederlanden gezwungen ist, jeden einzelnen Brief eines Bürgers zu beantworten, mussten Ihretwegen zweieinhalb Vollzeitstellen geschaffen werden. Die Behörde sprach von einem "Brief-Terror". Ich glaube, nicht mal die Gewerkschaft findet Ihre Arbeitsbeschaffungsmassnahme toll.

   Ich weiss nicht, lieber Herr Karasahin, was Sie so in Rage gebracht hat, weswegen Sie das Rathaus von Dordrecht lahmlegen wollten. Aber ich glaube nicht, dass die Welt so schlecht ist, dass man 70 Briefe am Tag schreiben muss. Auch nicht in den Niederlanden.

   Überlegen Sie doch nur mal, was Sie in der Zeit des Briefeschreibens hätten machen können. Bei uns gibt es Menschen, die gehen jeden Montag auf die Strasse, um gegen den Bau eines Bahnhofs zu demonstrieren. Sie machen das schon seit ein paar Jahren. Inzwischen wird der Bahnhof gebaut. Manche Menschen mögen das verrückt finden, aber wenigstens sind die Demonstranten währendessen an der frischen Luft.

   In diesem Sinne, lieber Herr Karasahin, denken darüber nach. Und wenn Ihnen das Leben ohne Briefeschreiben fade erscheint, setzen Sie sich in einen Zug und schauen Sie montags mal bei uns vorbei. Es könnte Ihnen gefallen.

 

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