Weder kenne ich die Niederlande
noch Herrn Mustafa Karasahin aus der Gemeinde Dordrecht bei
Rotterdam. Gleichwohl sehe ich ich mich gezwungen, mich heute
an Sie zu wenden. Auch auf die Gefahr hin, dass von Ihnen mit
Massenbriefsendungen eingedeckt zu werden. Sie sind ein unermüdlicher
Briefeschreiber, das weiss ich. Ich werde keinen davon beantworten.
Nicht einen.
Diese Woche, lieber Karasahin,
sind Sie von einem Gericht verurteilt worden, sich bei Ihrer
Gemeinde mit höchstens zwei Briefen pro Monat melden zu dürfen.
Aber was erzähle ich Ihnen das, Sie kennen ja das Urteil, das
Ihnen per e-Mail zugestellt wurde. Bei mehr als zwei Briefen
droht Ihnen Gefängnis.
In Ihren besten
Zeiten haben Sie bis zu 70 Briefe pro Tag ans Rathaus geschrieben,
in zwei Jahren kamen 3500 Briefe zusammen. Da die Verwaltung
in den Niederlanden gezwungen ist, jeden einzelnen Brief eines
Bürgers zu beantworten, mussten Ihretwegen zweieinhalb Vollzeitstellen
geschaffen werden. Die Behörde sprach von einem "Brief-Terror".
Ich glaube, nicht mal die Gewerkschaft findet Ihre Arbeitsbeschaffungsmassnahme
toll.
Ich weiss nicht, lieber Herr
Karasahin, was Sie so in Rage gebracht hat, weswegen Sie das
Rathaus von Dordrecht lahmlegen wollten. Aber ich glaube nicht,
dass die Welt so schlecht ist, dass man 70 Briefe am Tag schreiben
muss. Auch nicht in den Niederlanden.
Überlegen
Sie doch nur mal, was Sie in der Zeit des Briefeschreibens hätten
machen können. Bei uns gibt es Menschen, die gehen jeden Montag
auf die Strasse, um gegen den Bau eines Bahnhofs zu demonstrieren.
Sie machen das schon seit ein paar Jahren. Inzwischen wird der
Bahnhof gebaut. Manche Menschen mögen das verrückt finden, aber
wenigstens sind die Demonstranten währendessen an der frischen
Luft.
In diesem Sinne, lieber Herr
Karasahin, denken darüber nach. Und wenn Ihnen das Leben ohne
Briefeschreiben fade erscheint, setzen Sie sich in einen Zug
und schauen Sie montags mal bei uns vorbei. Es könnte Ihnen
gefallen.
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