Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (12. Oktober 2014)
 
Im Hexenkessel der Literatur
 

   Buchmesse Frankfurt. Die Literaturcontainer in den Messehallen sind zum Bersten gefüllt, dauertelefonierende Agenten jagen hinter jedem flüchtig aufscheinenden Talent her, möglichst in Form einer jungen Frau mit Rehaugen oder eines vollbärtig-verschrobenen Österreichers. Später senden sie ihre Trophäensammlung an den Heimatverlag und werden dafür mit neunen Fussmatten für ihren Dienstwagen belohnt. Tausende mittelloser Autoren irren umher und polstern ihre eingefallenen Wangen mit Käsehäppchen auf. Verlagsdiktatoren halten Hof, Feuilletonschefs küssen Kunst-Kurtisanen schmatzend die Hand. Dieses Wimmelbild des geschriebenen Wortes breitet sich auch vor einem jungen unauffälligen Mann mit graubraunem Sakko und kariertem Hemd aus.

   Er heisst Jussi Hämelainen und kommt aus Finnland, dem Partnerland der Buchmesse. Die Partnerschaft mit der literarischen Leistungsschau aus Frankfurt hat das kleine, in wohligen Nebel von Alkohol und Sibelius vor sich dahin dösende Land aus seinem sommambulen Inseln gerissen. Partnerland der Buchmesse! DIe Begeisterung im finnischen Kulturministerium war grenzenlos. "Das ist ja ... wir kommen ganz gross raus!" - "Aber, wer schreibt bei uns? Und was?" Autoren mussten beschafft werden. Tags darauf streiften Regierungsspäher durch endlose Wälder, tranken sich durch die Bars mürber Kleinstädte, hockten an den Torffeuern Nordkareliens, in den Zelten der Lappen und sammelten Menschen ein, die des Schreibens mächtig sein schienen - auch wenn sie nur ihre Adresse aufs Etikett einer leeren Wodkaflasche gekritzelt hatten.



   Jussi Hämelainen ist einer von ihnen. Er war mit dem philosophischen Traktat "Elch und Ich" hervorgetreten, das im Volksbildungsheim von Povijärvi verlesen wurde und auf frenetische Begeisterung stiess. Hämelainen gilt als Vertreter der baumlosen Moränenliteratur, die sich thematisch in den Steppen der des Nordens verorten lässt, aber nicht weiss, was sie dort tun soll. DIe ersten Gespräche mit Agenten in Frankfurt verliefen ermutigend: "Finnland, Finnland. Also für mich ist das Sauna, Alkohol und betrunkene Skispringer. Und Tango, klar! Mal überlegen ... also analog zu diesem Hundertjährigen, den mir das Schwein von Konkurrenzverlag weggeschnappt hat. Arbeitstitel: Der 40-jährige Skispringer, der von der Schanze fiel. Und Krimis. Die Schweden machen's doch auch, Herrgott!"

   Hämelainen notiert eifrig die Stichworte, gibt aber zu, einen Skispringer nich zu kennen. "Wird schon, wird schon ..." Der Agent klopft ihm auf die Schulter: "Bäume für Papier habt ihr ja genug, hehe." Dann wirft er Hämelainen zurück in den Literaturhexenkessel. So wie er streifen viele Männer und Frauen aus dem Land der ewigen Dunkelheit durch die Messehallen. Wenn auch nur die Hälfte von ihnen zurückkehrt und der Schreibwarenladen in ihrem Heimatdorf geöffnet hat, dann ist bald mit einer Flut finnischer Baum-und-Borken-Literatur zu rechnen.

 

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