Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (01. Februar 2015)
 
Die Wiege Europas
 

   Der Wahlerfolg der griechischen Linken wird Europa verändern. Das Modell der zügellosen Effizienz, vorangetrieben von Deutschland und anderen Maschinenstaaten, ist am Ende. Europa entdeckt den Charme des Verfalls, der Geruch von Feta, Moussaka und geharztem Wein verdrängt die sterile Reinluft der High-Tech-Firmen Mitteleuropas.



   Experten sind sich einig, dass der Wechsel in Griechenland die bekannte Dominotheorie bestätigen wird. Dem Vorbild Hellas folgt der Rest Europas. Die Fachwelt spricht vom Triumph der Hafenbecken-Ökonomie, die in den Anrainerstaaten des Mittelmeers eine uralte Tradition hat. Statt masslosen Gewinnstrebens wird kontemplative Welteinsicht gepflegt. Statt sinnlosen Mehrwert zu erwirtschaften, sitzt der erwerbstätige Mann am Hafenbecken, krault sein Brusthaar und versucht, im Spiel der öligen Wellen eine Gesetzmässigkeit zu erkennen. Ansonsten ist er sich seiner Sterblichkeit bewusst.

   So auch am Tag nach der Wahl. Die Griechen standen auf wie immer, liessen die scheue Wintersonne in ihre Zimmer blinzeln, ehrten den Montag mit philosophischem Müssiggang und blickten mit einem Ausdruck des Mitleids auf Resteuropa, wo Regieruungschefs hektisch telefonierten, Verwünschungen in Richtung Akropolis ausstiessen und ihre gereizten Nerven mit verschiedenfarbigen Tabletten und dem Studium einiger für Athen entwickelten Foltermethoden zu beruhigen suchten.

   In Hellas dagegen ist das Leben wieder einfach. Kaum waren die Stimmen ausgezählt, begann die griechische Nationalbank Geld zu drucken. DIe Notenpresse brummte wie ein Schiffsdiesel, der Wind trug zerrissene Schuldpapiere durch die Strassen. Binnen kurzer Zeit blühte die Wirtschaft auf. Oliven (schwarz, ohne Stein) und die aus Industriegummi gefertigten Calamari fanden in Osteuropa reissenden Absatz.



   So mischt sich in Paris, Mailand oder Frankfurt ein bewundernder Unterton in das misstrauische Grummeln. Der griechische Weg! Soufflaki bei vollem Lohnausgleich! Das wäre ja ... "Was die können, könne wir auch", tönten Regierungschefs. Den Anfang machte der italienische Politiktriebtäter Renzi. Er liess sich mit den Beinen in einem Bottich toskanischem Rotweins fotografieren und kündigte an, nur noch 23 Stunden pro Tag zu arbeiten zu wollen. David Cameron tanzte im britischen Parlament Sirtaki und öffnete sein Hemd so weit, dass der Blick bis Schottland reichte. Angela Merkel unterzeichnete einen bilateralen EU-Beleidigungsvertrag mit Athen und kochte Kartoffelsuppe im Kanzleramt.

   Der ganze Kontinent ist in einer Stimmung heiterer Gelassenheit. Marktschreierische Demonstrationen, börsenhysterische Untergangsszenarien weichen dem sokratischen Dialog. Zeus und Kalliope sind jetzt schon die beliebtesten Vornamen, in den Karneval geht man als Griechen-Salat verkleidet. Ein Platz am Hafenbecken ist mehr wert als irgendeine Top-Immobilie. Griechenland ist wieder die Wiege Europas.

 

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