Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (22. März 2015)
 
Augen zu und durch
 

   Schon bemerkt? Der Frühling ist da. Wieder einmal. Es zwitschern die Vögel, spriessen die Blumen, schwirren die Pollen wie Politiker durch die Luft. Das Niesen, Röcheln, Sabbern, Schnurzeln, und Schniefen erinnert wieder einmal in manchen Grossraumbüro deutscher Zeitungsredaktionen bisweilen klangtechnisch an an eine postgrippale Einspielung von Robert Schumanns Frühlingskakafonie Nr. 1, Bäh-Dur, in der Orchesterbesetzung für zwei Tröten, drei Presslufthämmer, vier Kreissägen und sechs Aufsitzrasenmäher mit manueller Grasfangsackentleerung (molto infernale).



   Neben diesen akustischen Nebenwirkungen kommen bei vielen noch Schlappheiten, Stimmungsschwankungen und Schwindelgefühle hinzu. Gerade Schwangeren, Kinder, verzweifelte Griechen und noch verzweifeltere VfB-Stuttgart-Fans mit Dauerkarten sind besonders betroffen. Manche suchen ihr Heil in überfüllten Gartencentern und warten an den Kassen, bis ihnen von der psychedelischen Wirkung der Osterdekoration made in China blümerant wird. Andere fackeln halb Frankfurt ab und verschlucken sich am blindmachenden Rauch.

   Immerhin: Die homöopathische Abteilung im Bundestag unter der Leitung von Doktor Cem empfiehlt gegen Frühjahrsdepressionen 30 Gramm Cannabis für den täglichen Eigenbedarf, was dem geistigen Umnachtungsgrad nach 120 Joints aus Bundeswehrbeständen beziehungsweise zehn Staffeln "Germany`s Next Topmodel" nonstop entspricht.



   Seriöse Mediziner betonen allerdings, dass triefende Gesichtsrüssel, taube Ohren, entzündete Sitzfleischbatzen und geistige Aussetzer in diesen Tagen einer genauen Anamnese durch den Fachmann bedürfen. Wenn einem plötzlich rabenschwarz vor Augen wird, kann das tausend Ursachen haben, nicht nur psychische, hormonelle oder antikapitalistische. Zur Vermeidung von Blutarmut und Kreislaufschwäche fordert etwa Winfried Kretschmann von der Katholischen Kirche die Lockerung des Kondomverbots auf allen Radfahrwegen im Südwesten. Damit will die rot-rüne Landesregierung wie versprochen zu gesteigerten Erotisierung des Fahrradverkehrs in Baden-Württemberg beitragen. Die Capriohalter der Union (CDU) und die Sportgeländewagenlobby (435 PS, kein Aschenbecher, ein Babysitz) lehnen hingegen den vehementen Ausbau der Radwege ab und sprechen von ideologischem Blendwerk. Die Helmpflicht als optisches Verhütungsmittel entspreche nicht der ästhetischen Würde des Menschen, weil es die Zeugung von Frühlingskindern auf Beifahrersitzen verhindere.

   Was einem bleibt in diesen schwindelerregenden Zeiten? Krokusse auf Verkehrsinseln, schmelzende Osterschokoeier, und die Sonnenfinsternis. Ein bewegendes Naturerlebnis, das wildfremde Menschen auf Parkplätzen und Wiesen zusammenbringt. Man wartet und starrt auf den Himmel wie auf einen Bankenturm. Plötzlich schiebt sich ein gigantischer Stinkefinger über die gleissend helle Sonnenscheibe. Man lacht. DIe Augen brennen, Es juckt. Dann wird`s zappenduster. Der Lenz ist da.

 

 

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