Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (07. Juni 2015)
 
Besser spät als knie
 

   Ich hab's gerade am Knie. Keine grosse Sache, aber ich komme nicht mehr so schnell voran. Mein hinkender Gang hat Vorteile. Bei der Arbeit werde ich voller Mitgefühl gefragt, was mir denn fehle. Das ist nett. Wobei das Mitgefühl der lieben Mitmenschen allerdings nach spätestens zwei Wochen aufgebraucht ist. Das Mitleid schlägt im Laufe der Zeit in ein gewisses Unverständnis um. Was, der hinkt immer noch, sagen die Blicke der Kollegen. Kann der sich keinen gescheiten Orthopäden leisten?



   Für alle, die sich Sorgen machen, ich bin ärztlich in guten Händen. Gut Ding will allerdings Weile haben. Womit ich bei meinem Thema bin. Durch mein Kniegelenk hab ich die Langsamkeit entdeckt und auch die Orte, an denen Langsamkeit am hinderlichsten ist. Ich meine jetzt nicht die Formel-1-Rennstrecken dieser Welt, sondern den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).

   Meiner Erfahrung nach ist das grösste Problem des Öffentlichen Personennahverkehrs jene Eigenschaft, um die uns der Rest der Welt beneidet, nämlich die Pünktlichkeit. Strassenbahnen und Busse, die pünktlich fahren, sorgen jeden Tag für grössere Dramen. Ich konnte schon Menschen beobachten, die neben der fahrenden Strassenbahn herliefen und wütend gegen die Scheibe klopften. Ich habe schon Strassenbahnführer wüste Drohungen über die Lautsprecher ausstossen hören, weil eine Türe nicht freigegeben wurde. Da wartete einer auf den anderen, der wiederum auf seinen Fahrschein aus dem Automat wartete. Und immer wieder sehe ich keuchende Menschen, die sich mit hängenden Köpfen auf eine Bank fallen lassen - es gibt offenbar nichts Schlimmeres, als wenn einem die Bahn vor der Nase wegfährt.

   Mir selbst blieb das Schicksal bislang meist erspart. Ich bin kein Mensch, der die Abfahrtszeiten einer Strassenbahn als Vorschlag versteht, über den man mit dem Fahrer vor Ort feilschen kann. Ich halte Pünktlichkeit für eine Tugend - und wenn ich doch mal spät dran bin, dann bin ich eben gerannt.

   Seit ich nicht mehr so rennen kann, sehe ich die Dinge etwas anders. Früher hätte man zu einem wie mir gesagt, geh halt früher los! Aber heute? Pünktlich ist nicht mehr alles - und Tempo schon mal gar nicht. Wir leben ja, gesättigt wie wir eben sind, in einer Gesellschaft, die alles zugleich haben will. Umweltgerechtes Wirtschaften, anstrengungsloser Wohlstand sowie eine Bildung, die einem auf spielerische Art zufliegt. Warum wird dieses Prinzip nicht auch auf den Nahverkehr angewandt? Warum können Bahne und Busse nicht weiterhin pünktlich kommen, aber auch ein bisschen später? Ist es sozial gerechtfertigt, dass einer wie ich nur wegen einer körperlichen Beeinträchtigung beim Umsteigen den Anschluss verpasst?



   Ein Vorschlag zur Güte: Wir verlangsamen etwas den Takt und setzen zugleich für Menschen, die wegen Problemen im Bewegungsapparat chronisch zu spät kommen, zusätzliche Busse ein. Am besten Gelenkbusse.

 

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