Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (12. Juli 2015)
 
Balkanische Mathematik
 

   Es mag sich um fehlerhafte Synapsenverknüpfungen infolge Blow-ups im Frontallappen durchgeschwitzter Grosshirnrindenbahnen handeln. Doch dass in den letzten Monstersommertagen allenthalben von einer Sehnsucht nach einem Plan B die Rede ist, hat schon etwas Bedrohliches. Wie ein Samstag ohne Bundesliga. Oder ein Bier am Stiel.

   Eine tiefe Verunsicherung wabert wie eine stickige Dunstglocke über den dampfenden Köpfen. Kinder schreien, Deos versagen, Mücken stechen. Jemand brüllt "Oxi", ein anderer zitiert Karl Marx. So ein Murks. Die Vernunft weicht einem unablässigen Kalkulieren, Finanzieren, Interploieren. Wer heute nicht erfolgreich in die eigene Tasche rechnen kann, wird Journalist ohne Perspektive, Büchner-Preisträger oder einer dieser berühmten Griechen "von der Strasse". Alle anderen wissen: Unterm Strich zähl' ich.



   Mal ehrlich: In jedem von uns steckt ein klitzekleiner Schäuble, der mit blutleeren Lippen die Schuld stets beim anderen sucht. Solidarität ist schliesslich keine Einbahnstrasse in den Süden, und die Zahlen werden nicht vom Sonnenbad bei der Demo auf dem Syntagma-Platz schwarz! Man nehme sich bloss ein Beispiel. Um den persönlichen Nobody-Mass-Index zu ermitteln, multipliziert der sparsame Durchschnittsdeutsche minütlich die Tageshöchsttemperatur im eigenen Schlafzimmer im Quadrat mit der Anzahl der Augenringe in Merkels Gesicht und dividiert das Ergebnis mit dem Kursverlust an der Börse in Schanghai. Das Ergebnis? Eine Hotpants-Debatte und 53,3 Milliarden Euro auf dem Wunschzettel. Toll, was?

   Doch es bleiben noch Fragen. Ab welcher Körbchengrösse stellen eigentlich nackte Männerbrüste im Freibad ein öffentliches Ärgernis dar? Bis zu welchem Alter sind frisch getrennte Top-Models wie Lena Gercke im internationalen Spitzenfussball der Herren überhaupt noch vermittelbar? Ab welcher Länge gilt eine Reformliste als Reformliste? Und, wer hat den Längsten, pardon, die längste?



   Wie schön wäre es, denkt sich nicht nur der alternativlose Bernd Lucke, wenn es auch anders ginge, wenn jemand einen Plan B wie einen weissen Hasen aus dem Zylinder rupfen könnte. Wobei nicht klar ist, was "Plan B" überhaupt bedeutet. Viele glauben, "Plan B" sein ein Synonym für "Alternative". Irrtum, B steht für Balkan - und das verheisst Übles. Vor gut 100 Jahren hatte der Generalstab Österreich-Ungarn zwei Angriffspläne. Der Plan "R" galt Russland, der Plan "B" stand für Balkan. Jeder weiss, wie die Sache endete, im Chaos. Die Kanzlerin müsste gewarnt sein. Südlich von Wien sind Zahlen nur Schall und Rauch. Die balkanische Mathematik geht nämlich so: Man wankt in eine Kneipe und feiert und beisst ins Glas, bis der Sanitäter kommt. Wer die Zeche zahlt? Mal der eine, mal der andere - und manchmal der auch der Wirt. Unterm Strich echt solidarisch. Das Leben ist viel zu kurz für lange Reformlisten. Und wer schon keinen Plan "A" hatte, dem hilft auch kein Plan Bäh mehr.

 

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