Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (19. Juli 2015)
 
Der Wahnsinn am Schuljahresende
 

   Die Sonne drückt wie ein weiches Kopfkissen auf die trockene Haut der Grossstädte. Die Menschen verspeisen Sommergerichte wie Ziegenkäse und Melonensalat, die reptiliengleich in den Verdauungstrakt kriechen - ein, zwei Drinks später stolpert das Gehirn hinterher. Und überall über all dem Trocknen und Dörren hängt eine nervöse Stimmung in der Luft, die sich vor allem in den Ghettos der Mittelschicht zu schraubstockartiger Beklemmung verdichtet. Es handelt sich um die typischen Symptome des Schuljahresende-Wahnsinns, der Deutschland im Juli mit voller Wucht erfasst.



   Durch die Schulhöfe dröhnen Lyrikfragmente, es wandern Igel, Schildkröten, Hasen und Cowboys durch die feindliche Schularchtektur, digital gebannt auf Hunderttausenden von Kamerachips. Flötengruppen senden verzweifelte Melodien in den geduldigen Sommerhimmel, wo sie sich mit dem aufsteigenden Bierdunst der Elternverpflegung vermählen. Kaum abgekühlt zieht die Eltern-Kinder-Karawane weiter zu den stickigen Mehrzweckhallen und Schul-Auditorien, wo Jazz, Chorgesang und klassisches Theater bejubelt werden.

   Flankiert wird all dies von den Grillabenden unzähliger Sportvereine, die die Atmosphäre zum Glühen bringen. Dort ernten verdiente Ehrenamtsträger Lob und beseelten Applaus für die Opferbereitschaft der vergangenen Saison. Am Ende solcher Tage fühlen sich die Besucher wie Bauern, die von der Feldarbeit zurückkehren.

   Doch die versöhnliche Stimmung des zu Ende gehenden Schuljahres kann nicht jene Angst überdecken, die die Eltern kurz vor Schuljahrsende im Würgegriff hält. Es geht um die Zeugnisse, die eisige Zwischenbilanz der Bildungskarriere. Schon eine mittelmässige Kopfnote gleicht im Milieu der Bildungsbürger einer persönlichen Niederlage. Sie signalisiert Abkehr vom akademischen Traum, verheisst schnöde Handarbeit, derbe Funktionskleidung mit Schraubenzieher oder Maurerkelle. Rutschen die Noten noch weiter ab, bauen sich vor den Eltern die gesichtslosen Wohnblocks der sozial deklassierten Schichten auf, richtig miese Zeugnisse signalisieren bauchfreie Tops, Tätowierungen und erfolglos ausgeübte Kleinkriminalität, am Ende der Notenskala kommt nur noch Unsagbares, lauert der Abgrund wie frühe Schwangerschaft, Computerverblödung, Griechenland ohne Sonne.



   Zwar wird am Ende alles gut, die Hasen und Igel sind zurück im Stall, die Kopfnoten nicht aller Tage Abend, doch die Angst bleibt. Wer jetzt auf der Strasse Menschen sieht, deren zitternde Finger den Schlüssel ihres Audi-Kombis nicht mehr finden, deren flackernder Blick ins Leere geht und aus deren hektischem Getuschel Satzsplitter wie "... braucht der Junge eben Förderunterricht in den Ferien ... muss diese unfähige Lehrerin weg ... notfalls vor Gericht ... null Verständnis ... Hochbegabung ... nicht erkannt ...", sollte innehalten und die Eltern einfach mal in den Arm nehmen. Sie haben es wirklich nicht leicht. Die Lehrer übrigens auch nicht.

 

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