Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (16. August 2015)
 
Wie Blei in der Sonne
 

   Es muss irgendein uralter Chinese gewesen sein, der sagte, die l�ngste Reise beginnt mit einem kleinen Schritt. Was der Chinese halt so sagt, wenn er in der Welt herumdenkt. Dieser Chinese ist aber nie in den Urlaub gefahren, sondern blieb kontemplativ zu Hause. Sonst h�tte er sich diesen Satz dreimal �berlegt. Die Deutschen aber - an sich kein Volk der kleinen Schritte - lassen sich das Diktum fern�stlicher Philosophie nicht zweimal sagen und fahren millionenfach in den Urlaub. In tagelangen Staus auf Autobahnen finden sie nicht nur zu sich selbst, sondern auch neue Freunde. Sie lesen im stehenden, hitzeglosenden Auto B�cher, die sie l�ngst lesen wollten, und sinnieren beim Blick in den abgasdurchtr�nkten Himmel �ber die Unendlichkeit des Universums nach, wor�ber sie einschlafen und erst in der Nacht durch die Hupe des Hintermanns zum Weiterfahren gen�tigt werden.



   Die Urlaubsreise ist f�r die emotionale Balance des Kontinents von entscheidener Bedeutung. Sie zeigt die Ewigkeit des Universums. Die Berge haben sich seit dem letzten Jahr keinen Millimeter bewegt und das Meer liegt immer noch wie ein St�ck Blei in der Sonne. Dennoch bekommen viele Deutsche beim Gedanken an den Urlaub Herzrasen. Das zu verhindern ist Sache der Vorbereitung. Packen sollte man fr�hestens eine Stunde vor der Abreise, um wochenlangen Stress zu vermeiden. Man schreit sich dabei ritualhaft an und sucht nach verlorenen P�ssen, Pl�schtieren und Badelatschen. Generell gilt: Das Auto ist nie so voll, dass nicht noch ein Gummitier oder eine K�hltasche hineinpasst. Das Volumen eines Mittelklasse-Kombis l�sst sich durch methodisches Quetschen um rund ein F�nftel erh�hen, weil sich die Aussenhaut biegt. Die Fahrt wird zu einem Vergn�gen, wenn drei H�rb�cher und die "Bravo Hits Vol. 23" gleichzeitig laufen und so die Anweisungen des Navigationsger�t zur Unh�rbarkeit degradieren. W�hrend der Fahrt sind Pausen wichtig, auf denen beliebte Spiele wie Baby-Verstecken gespielt werden, was nicht selten mit einem spannenden Polizeieinsatz endet. Wenn es dann wieder rollt, d�rfen �berholte holl�ndische Camping-Gespanne mit abf�lligen Gesten bedacht werden.



   Und dann - keine 45 Stunden nach dem chinesischen ersten Schritt - kann der Kombi entladen werden. Man zerrt das Zuunterste zuerst heraus, wodurch viel Gep�ck so besch�digt wird, dass man es nicht mehr mit nach Hause nehmen muss. Wer nun glaubt, er k�nne r�cksichtslos entspannen, sollte es nicht �bertreiben. Schlechte Laune, Schlaflosigkeit oder akribisches N�rgeln �ber Nichtigkeiten sind auch im Urlaub f�r den seelischen Ausgleich wichtig. Familientyrannen sollten sich auch nach �berschreiten der Landesgrenze charakterlich nicht bis zur Unkenntlichkeit verbiegen. Zwischen dem Moment des ersten Wutanfalls und der Vorbereitung f�r die R�ckreise liegen in der Regel kaum mehr als drei Wochen. Die vergehen wie im Flug und m�ssen hier nicht gesondert behandelt werden. Danach ist alles wieder wie vorher.

 

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