Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (30. August 2015)
 
Das bittere Nichtstun
 

   "Nee. ehrlich, Alder. Ich fühl mich echt irgendwie voll getrieben. Immer muss ich facebooken. Aber klar. Weil: Hart abswagen und entschleunigen kannstu kicken. Liken, frienden, posten, submitten, bis die Pfote glüht. Krass. Und dann mussdu noch deine Profile aufbitchen und mit allen möglichen coolen Leuten da draussen in touch bleiben, alles Sachen, die wie echt stressen. Ey, konkret würde ich auch viel lieber mit meinen Freunden wacken oder mal wieder duschen oder was mit Vitaminen snacken oder korrektes Deutsch blubbern, yo Digger. Aber wir machen heute eben alles per WhatsApp. Phat! Ablabern am Handy dauert einfach zu lang."

   Dieses Zitat stammt nicht etwa aus dem dieser Tage posthum erschienenen und in kaschubischer Mundart verfasstem Buch "Vonne Endlichkeit" von Günter Grass, das die Kritik voller Spannung erwartet hat und in den ersten Rezensionen mit der "ungemein zärtlichen Sprachwucht" (Hellmuth Karasek) des frisch gedruckten Ikea-Katalogs vergleicht. Nein, diese Sätze wurden soeben am Nebentisch belauscht, sie stammen von einem noch jungen, rhetorisch versierten und mit Preisen überhäuften Feuilleton-Redakteur unserer Sparte, der sich wieder einmal darüber beschwert, dass er nach Feierabend nicht herunterkommen kann.



   Doch mit der Klage ist der Kollege nicht allein. Noch nie waren die Deutschen in der Freizeit so gestresst wie heute, so das erschütternde Ergebnis einer neuen Studie. Die Jungen fühlen sich demnach genervter als die Älteren, Dunkeldeutsche mehr als Helldeutsche, Frauen mehr als Männer, Möpse mehr als Spitze. Alle sind kurz vor dem Burnout wie der Föhn von Donald Trump. In der Umfrage kam das Nichtstun kaum noch als Hobby vor, höchstens noch unter Akademikern in Duisburg-Marxloh und rechtseitig der Isar.

   Stattdessen wird nach der Arbeit jede freie Sekunde genutzt. Ob beim Herunpöbeln auf dem Parkplatz, an der Baumarktkasse oder in der endlosen Warteschlange auf dem Grillplatz. Überall wird auf dem Smartphone schnell noch was erledigt oder im Internet gesurft. Xing, LinkedIn, Facebook. Gerade die jüngeren Leistungsträger verbringen Stunden mit der intensiven Pflege ihrer Profile, was zu übersteigerten Selbstliebe und Hautirritationen infolge unsachgemässer Verwendung von Schönheitsprodukten führen kann, warnen Ärzte.



   Kaum Sport und zu viel Medienkonsum. So sieht der triste Freizeitalltag vieler Mitbürger aus. Manche lesen aus Verzweiflung Verse in kaschubischer Mundart, Glossen wie dieser oder die intellektuell anspruchsvolleren Bastelanleitungen für zwei neue Billy-Regale, was Einsamkeit und Appetitlosigkeit zur Folge hat. Das immerhin ist gesund an der nervigen Freizeit. Man speckt ab. Und tatsächlich: Einer weiteren Studie zufolge ist die deutsche Mittelschicht weiter geschrumpft wie der Bauch des neuesten Pumuckl. Wie heisst es doch so schön: Weniger ist mehr!

 

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