Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (06. September 2015)
 
Es fährt ein Nirgendwo nach Zug
 

   Die Deutschen sollen mal nicht so jammern, auch die Schweizer nehmen immer mehr Flüchtlinge auf. Vergangene Woche kamen ein paar Hunderte aus Budapest mit der Bahn, weil Ungarn es ja jetzt mit dem Bremsen des Flüchtlingsstroms nicht mehr so genau nimmt. Manch ein Flüchtling hat keine Papiere bei sich, ist somit quasi erkennungsdienstlich einmal ein Nirgendwo, dem mühsam ein Heimatland zugewiesen werden muss. Vielleicht wird er dann in den Kanton Zug zur vorläufigen Unterbringung verbracht, dann liesse sich die gewagte Überschrift über diesen Artikel rechtfertigen, aber die Recherche in der Schweiz gestaltet sich sich diesbezüglich sehr schwierig.

   Wie man lesen kann, stehen sich an Schweizer Bahnhöfen die Journalisten bereits auf den Füssen, um endlich einen Flüchtling interviewen zu können. So viele kommen dann nämlich doch nicht. Im Juli zählte die Schweiz knapp 3900 neue Asylbewerber - in Deutschland waren es im gleichen Zeitraum 79000.



   Angela Merkel bleibt aber betont locker. Auf ihrer ersten Pressekonferenz nach den Sommerferien rief sie die Deutschen dazu auf, in der Flüchtlingskrise mal flexibel zu werden. Beobachter sprachen sogar davon, dass die sonst so knchentrockene Merkel in der Angelegenheit so etwas wie eine Vision habe. Die Beamten des Bundes, die gerade vor Ort ein längst aus den Fugen geratenes Asylsystem am Laufen halten müssen, glauben hingegen eher, dass die viel diskutierte Freigabe von Cannabis inzwischen im Kanzleramt ausgiebig getestet wird.

   Merkels Pressekonferenz in Berlin hatte jedenfalls eine berauschende Wirkung. Die Kanzlerin habe endlich Klartext gesprochen, vermeldeten die Berichterstatter. Sie habe sich gegen Fremdenhass ausgesprochen, aber auch dafür, dass die vielen Wirtschaftsflüchtlinge doch bitte wieder rasch in ihre Heimatsländer zurücksollten. Wahrscheinlich muss man mehrere inhaltsleere Pressekonferenzen mit Merkel hinter sich haben, um darin irgendeinen Klartext zu erkennen. Da freut man sich womöglich schon, wenn die Kanzlerin statt einem "vielleicht" ein "vermutlich" in ihre Sätze einbaut.



   Nein. Merkel wird in ihrem Politikerleben keinen Klartext mehr reden, den hat sie sich mühsam abtrainiert. Man muss in dem Zusammenhang daran erinnern, dass die Frau vor fast zehn Jahren fast nicht zur Kanzlerin geworden ist, weil im Wahlprogramm der CDU zu viel Klartext dringestanden hat. So etwas wird ihr nicht noch einmal passieren.

   Trotzdem wird die Kanzlerin natürlich in die Geschichte eingehen - und sei es nur als neues Verb. Der Begriff "merkeln" steht derzeit ganz oben auf der Vorschlagliste für das Jugendwort des Jahres 2015. Laut dem Langenscheidt-Verlag, der den Wettbewerb veranstaltet, steht "merkeln" für "Nichtstun, keine Entscheidungen treffen, keine Äusserungen von sich geben". Wunderschön, was Merkel dazu auf ihrer Klartext-Pressekonferenz sagte: "Ich nehme es emotionslos zur Kenntnis."

 

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