Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (21. Februar 2016)
 
Himmel über Berlin
 

   Mit Tränen gesalzenes Popcorn. Winterbleiche Damenschenkel auf errötendem Teppich. Schwofende Fremdsprachen. Perfekte Zahnreihen, halbleere Sitzreihen, unübersichtliche Nebenreihen. Subjektive. Objektive. Prädikatschaumweine.

   Zuvor gibt's bergeweise Augenhäppchen, garniert mit französischen Delikatessen und dazwischen kunstfreier Sozialhackepeter für die schlichteren Mägen. Miesestes Hans-Fallada-Wetter. Ein typischer Himmel über Berlin. Melodramatisches Wolkengebräu, Blitzlichtgewitter und boulevardeskes Donnergrollen. Winkewinke, bussibussi, gaffgaff. Und alle so kreisch! Party. Stimmung. Eine Trillion Likes. Überall ganz normale Hyperstars aus Hollywood und irgendjemand spezielles namens Daniel Brühl. Das herbe Odeur von zärtlich schimmelnden Kritikerachseln, das weit über die Grenzen der Hauptstadt alle Feuilletonnasen betäubt. Erinnerungen an bessere Ballhaus-Zeiten. Man fassbindert und seufzt. Ach ja. Tschüss und bis zum nächsten Mal.

   Das ist, nein, das war die 66. Berlinale. Grosses Kino. Leider skandallos. Ein Filmfestival wie kein zweites in Berlin, verstörend und bizarr wie dieses Altbautapetenkleid von Jurypräsidentin und Fashion-Queen Meryl Streep, extravagant wie eine Currywurst in Aspik. Mensch, dir war gut!

   So wurden also die Glanzbären verteilt. Es wurde geglitzert, geweint, gedankt, geheuchelt und am Ende gewann dann garantiert irgendein engagierter, authentischer, hochpolitischer Beitrag - und dieser Blubberkopf Dieter Kosslick. Und Berlin? Bleibt doch nur Berlin, was.

   Nur schade, dass die besten Werke immer ausserhalb der Konkurenz laufen. Da wären etwa die von der Bundesregierung und dem evangelischen Kirchentag geförderte Polit-Action-Doku-Satire mit dem vielsagenden Titel "Brüssel sehen und sterben". Ein anrührender Streifen über Angela, eine starke, vom kalten Hauch der Geschichte geföhnte Frau, und einen Haufen ziemlich erbärmlicher Kerle aus Osteuropa, Österreich, Frankreich, England, Bayern, Griechenland, ... Dieser sehr deutsche Film ist eine einzige Grenzüberschreitung, verzichtet komplett auf jegliche Regie und Dramaturgie und vertraut blind auf die Solidarität der durchgesessenen Kinosessel. Die Geschichte beginnt damit, dass Angela, eine einsame Experimentalpolitikerin, ihr realitätsfernes Labor nahe dem Berliner Reichstag verlässt und angesichts des Elends beschliesst, als engelsgleiche Jeanne D'Arc Europa zu retten.

   Obwohl Angela seit einiger Zeit unter Links-rechts-Hospitalismus leidet, will sie sofort nach Brüssel fliegen, biegt allerdings über dem Potsdamer Platz falsch ab und stürzt prompt bei Magdeburg in ein AfD-Plakat. Nach dem harten Aufprall ist alles wie vorher. "Brüssel sehen und sterben" rief bei den ausländischen Kritikern und Optikern Proteste und Netzhautablösungen hervor. Nur der Papst war nach dem Kinobesuch begeistert und lockerte sofort das Kondomverbot. Die besten Filme? Dreht doch alles das Leben.

 

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