Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (10. Mai 2016)
 
Man ist, was man zieht
 

   Wer an einem sonnigen, frühlingsschwülen Samstag mitten in Stuttgart die Augen schliesst, hat das Gefühl ganz weit weg zu sein. In Amsterdam vielleicht. In einem der östlichen Arrondissements von Paris. Oder in Berlin-Kreuzberg. Man wähnt sich an einem dieser verwunschenen Orte, wo es mehr junge Touristen als Tauben, sportliche Geländewagen mit WG-Zimmer-grossen Alufelgen oder mehr als ein Restaurant gibt, wo man auch nach 22 Uhr noch etwas Warmes und vor allem Geniessbares freundlich serviert bekommt. Diese Städte weit ausserhalb von Stuttgart schlafen nie, hört man, und zwar sprichwörtlich, denn die vielen Fremden, die mit ihren Billigfliegern und Billigbussen in diese anziehenden Städte einfallen, umgibt stets eine eigenartige Geräuschkulisse.



   Frühmorgens wie auch spät in der Nacht finden die Einheimischen keinen Schlaf, weil es überall rasselt und quietscht und poltert und reibt und rattert wie in einer Klangkompsition des unterschätzten Pioniers der Industrial-Musik Maurizio Bianchi. Gefragt, worum es ihm geht bei seinen Arbeiten, antwortete der Italiener einst mit der erklärten Absicht "in meinen radikalen Arbeiten den Hörer auf den elektrischen Stuhl zu setzen, mit seinem Blut zu gurgeln und sein Nervensystem zu verletzen. Das kann man sadistisch finden, aber es ist resolut, eindeutig und ohne Kompromisse."

   So ungefähr schallt es in den Hörgängen der Einwohner, wenn die Generation Trolley durch London oder Berlin von Hotel zu Hotel zieht. Monika Herrmann, die Bezirksbürgermeisterin des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg dachte vor einiger Zeit laut über Sanktionen für das lärmende Tourivolk nach und schlug zum Schutz der genervten Bevölkerung Rollkoffer mit dämpfenden Gummiräder vor. Daraus wurde nichts, auch weil man gehört und gesehen werden möchte. Der Rollkoffer ist inzwischen weit mehr als ein praktisches Transportmittel, er ist vor allem auch ein modisches Accessoire. Mit so einem Teil ist man ein Grossstadtnomade, ein Weltenbürger, ein Flugmeilen-Millionär. Deswegen gehört zur Angeber-Grundausstattung neben einem Becher Smoothi/Coffee to go in einer Hand das Smartphone in der anderen. Wie man dann noch ohne eine dritte Hand den Rollkoffer hinterherzieht, ist eine Kunst, die erstaunlich viele Jungmenschen beherrschen. Sie wissen auch, welches Köfferchen von Tumi, Rimova oder - ganz doll in Mode - von Vaude zum Globetrotter-Image passen.



   Man ist, was man zieht.

   Und während in Kreuzberg eine Antihipster-Punkband namens Killerkomando Rollkoffer ein Konzert gibt, schlägt man in der Neckarstrasse an einem frühlingsschwülen Samstag die Augen auf und sieht: Keine schicken Rollkoffer. Sondern junge Leute, die monströse Grillgerätschaften auf ungeölten Rollen hinter sich herschleifen, behängt mit Fjällräven-Rucksäcken, Bierkästen und Kühltaschen vom Discounter. Zum Grillen im Park trägt man Gummilatschen und Synthetik-Shorts, gegen die kein Deo hilft. Und es rasselt und quietscht und poltert und reibt und rattert vor sich hin. Auch das ist eine Mode. Da hilft nur eins: Augen zu und weg.

 

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