Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (16. Mai 2016)
 
Der Nächste bitte!
 

   Das Jahr fühlt sich noch jung an. Doch seine musikalische Lebenserwartung ist gering. Die traurigen Nachrichten türmen sich wie diese grabsteingrauen Wolken am Horizont, man kommt mit dem Schreiben von Nachrufen nicht mehr hinterher. Erst verabschiedet sich David Bowie wie Major Tom ins ewige Nichts, dann die "Singende Spreewaldgurke" Achim Mentzel, schliesslich Prince und jetzt noch Peter "Clown" Behrens von Trio, einer unterschätzten Band aus den 80ern, die der dauergrillenden Generation Craft Beer jetzt wenig sagen wird.

   Für die Älteren hingegen ist die Zeit der Heldendämmerung angebrochen. Jede Ü40-Party wird ab sofort zur Gedenkveranstaltung, zur Abschiedstournee. Manche schluchzen dieser Tage einfach so vor sich hin, selbst ohne Zuhilfenahme von toxischer Raumluft, Pollen oder umherfliegender Grillasche aus Hipsternachbars Balkon. Man fragt sich, welche lebende Spitznamenlegende als Nächstes zum letzten Tanz aufgefordert wird. Angie? Supermario Götze?



   Vielleicht ist die allgegenwärtige Verlust- und Abstiegsangst der Grund, weshalb viele Fans sich jetzt verzeifelt an Udo Lindenberg klammern wie der Besoffene an den Laternenmast oder der VFB Stuttgart an die Relegation. Hymnen und Oden, wo man auch hineinblättert. Zum 70. Geburtstag der "Nachtigall" klatschen sich die Feuilletonisten hemmungslos die schwieligen Hände blutig wie die Deligierten auf dem Parteitag von Pjöngjang. Man trägt wieder Hut, sucht jemand, zu dem man aufblicken kann, reimt sich was zusammen in der panisch orchestrierten Mittelschicht.

   Was auch daran liegen mag, dass so ein vernuschelter, Hermann-Hesse-hafter Liedtext von Lindenberg immer noch leichter zu kapieren ist als die letzte Heuchelei, die sich hinter dem letzten Kürzel in TTIP verbirgt, oder die Kunst, wie man seinen Bauchspeck in fünf Tagen verliert. Alles ist dermassen komplex. Und so ist der bekennende Sozi Lindenberg für die Deutschen der Helmut Schmidt des Pop, der Unaufsteigbare, das letzte Aufgebot im Kampf gegen das Übergewicht des Bösen.



   Apropos Bauchspeck. Der Name einer anderen Pop-Ikone steht schon auf der schwarz-roten Liste, die Trauerredner dichten schon seit Tagen an den Elegien des Abschieds. Sigmar Gabriel ist's, der Siggi Stardust und Big White Duke einer legendären Band namens SPD. Gabriels kometenhaften Karriere begann als tarifgebundener Tanzbär in einer Goslarer Post-Punk-Boygroup, deren Songs um Adipositas, Altersarmut und August Bebel kreisten. Heute steht der einst mit Putzfrauenschlüpfern übersäte Frontmann der Siechenden Partei Deutschlands im riesigen Schatten seiner selbst. Gabriel, der neomurxistische Popper, trifft links und untenherum keinen Ton mehr. Da hilft auch kein Hut mehr.

 

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