Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (22. Mai 2016)
 
Kratzspuren und Trostküsse
 

   Kaum hatten sich in der Pfingstwoche die Rauchschwaden verbrannter Trikots der vom Fussballwunder verschont gebliebenen Clubs verzogen, schwebte wie jedes Jahr der Heilige Geist über den Südwesten ein. Wie es in der Schrift heisst, kam "vom Himmel her ein Brausen und ein Sausen, wie wenn ein Sturm daherfährt, und alle begannen, in fremden Sprachen zu reden". Das war natürlich ein grosses Hallo und selbst der Heilige Geist staunte über die Betriebsamkeit in den Korridoren der Landespolitik.

   Vor allem den Regierungschef umgab ein Glühen und Lodern, seine Haare strebten noch stärker zum bedeckten Himmel hin als wollten sie sie sich der Nähe des Allmächtigen versichern. Eine Aura der Unantastbarkeit umwölkte ihn. Selbst jene, die früher durch Berührung seiner Haarbürste Heilung von Krankheit oder Trost nach dem Verlust des Wahlkreises erhofften, hielten ehrerbietig Abstand.



   Nur sein Vize, der stets freundlich lächelnde, doch jetzt niedergedrückt wirkende Parteichef einer Partei, die sich stets der Heiligen Dreifaltigkeit verbunden fühlt, suchte die Nähe des Patriarchen. Mehrmals am Tag drang er unter artigen Verbeugungen in dessen Büro ein, um bei einem Becher Eisenhut-Tee Trost und Rat zu suchen. Im Gesicht trug er neben der verblassenden Narbe eines studentischen Fechtduells jene Kratz- und Bissspuren, die ihm eigene Gefolgsleute und aufgebrachte Frauen beigebracht hatten, die endlich vom Nektar der Macht kosten und das demütigende Dasein als politische Vorzimmerdamen beenden wollten. Der zerschundene Vize erwog, alles hinzuwerfen und künftig als Anwalt vom Fenster eienr Chrom- und Kastanienholzkanzlei auf den Frühnebel um die Weinberge Heilbronns zu blicken.

   Ganz anders die Stimmung im riesigen Büro des neu geschaffenen Ministeriums für Allzuständigkeit. Ein kleiner Mann mit wachen Augen sprang derwischhaft hin und her. "Mehr Tourismus, dort in der Ecke Justiz und links Europa sowie Gas und Dampf", murmelte er. Im Hintergrund plätscherte ein Modell des Uracher Wasserfalls. An der Wand hing die Sammlung von Medaillen, die seine lange politische Laufbahn begleiteten. "Blutreiter des Monats", Platz drei bei der Xylofon-Bürgermeister-Olympiade Ravensburg und der "Lyrik-Award" für sein Gedicht "Der Erlkönig und seine Rechtsnachfolge".



   Noch stärker vom Pfingstfeuer erleuchtet waren indes die Funktionsträger der neuen Partei. Mit ungläubigen Staunen liebkosten sie die Gummibäume ihrer neuen Büros und warfen sich lausbubenhaft Radiergummis an den Kopf. Während sie ihr politisches Pfingstwunder auskosteten, flog der Heilige Geist draussen zu den abstiegsbedrohten Wahlverlierern und hauchte ihnen einen tröstenden Kuss auf die Stirn.

 

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