Dinge, so oder so

 

Die Dinge vor Weihnachten (17. Dezember 2016)
 
Wie die Zeit vergeht? Gar nicht!

   Alle Jahre wieder gibt es diese vorweihnachtlichen Zusammenkünfte ehemaliger Zwangsvereinter aus der Schulzeit. Was dem einen ein Graus, ist dem anderen ein Fest. Die Typen sind überall dieselben. Wir haben sie uns mal vorgenommen. 
 
 

Der Bodenständige

   Er ist hier geboren, zur Schule gegangen. Seinen Job und seine Frau hat er ebenfalls in seiner Heimatsstadt gefunden, und vermutlich wird er eines Tages dort auch begraben werden. Schnell ist das Urteil gefällt: Der schaut nie über seinen Tellerrand und hat daher keine Ahnung von der grossen weiten Welt. Doch Vorsicht, im direkten Vergleich liegt der Bodenständige vorne. Er hat loyale Freunde, mit denen er so manchen Lebensabschnitt gemeistert hat und die ihn regelmässig besuchen, schliesslich ist es nicht weit. Braucht er einen Handwerker, der nach Feierabend mit anpackt, muss er nicht lange suchen - und in der Bäckerei wird er mit Namen begrüsst. Die Welt kann er sich auf Reisen immer noch anschauen, sagt er und hat damit gar nicht mal so unrecht. Denn auch im örtlichen Reisebüro sitzt ein alter Spezi, der ihm gerne einen grosszügigen Rabatt gewährt.
 
 

Die Jahrgangsschönheit

   Die Männer aus dem Abschlussjahrgang haben es ihren Frauen zu Hause nicht erzählt, aber es stimmt schon: Eigentlich sind sie nur wegen ihr zum Treffen gegangen - der Jahrgangsschönheit. Damals ist sie so unerreichbar weit weg gewesen, als beim Stehblues dreimal hintereinander Lionel Richies "Hello" aus den Boxen triefte und immer nur die anderen mit ihr tanzen durften. Man selbst, rotwangig, schwitzige Hände, absolut chancenlos. Das ist vielleicht 20 Jahre her, und jetzt stellen sich viele Fragen: Sieht sie immer noch so aus? Schwebt sie immer noch in unereichbaren Höhen, oder ist aus ihr eine Vorstadt-Prinzessin geworden, mit Reihenhaus, Kindern und zum leichten Übergewicht neigenden Gatten? Und wenn es so wäre, wäre es doch egal. So wie sie war danach keine andere mehr.
 
 

Der Prahlhans

   Gut. Der Typ war schon immer gewöhnungsbedürftig. Eine Spur zu laut, eine Spur zu selbstbewusst. Und dass er damals grundsätzlich erzählt hat, dass er vor keiner Arbeit lernen würde, anschliessend dann mit einer guten Note um die Ecke kam, hat ihm auch keiner abgekauft. Heute ist der Mensch erfolgreich, also supererfolgreich, was keinen verborgen bleiben kann, der mit ihm bei Facebook befreundet ist. Das "ich habe nicht gelernt" ist inzwischen ersetzt durch "ich habe gestern Nacht bis um 3 Uhr getrunken, du willst lieber nicht wissen mit wem". Anschliessend ist der Typ zur Arbeit gewankt, Kopfschmerztablette rein und ist sofort wieder auf die Karriere-Überholspur abgebogen - work hard, play hard. Das Problem für ihn - inzwischen sieht man ihm seinen Lebenswandel auch an. Prahlhans sieht irgendwie aus wie Flasche leer.
 
 

Der Revoluzzer

   Mit stiller Bewunderung hat man ihm gelauscht, wenn er mit dem Geschichtslehrer über die Schuld der Nazi-Erben oder den Vietnamkrieg debattiert hat. Das tat er mit der gleichen Souveränität, wie er bei der Demo gegen Atomkraft die Mädels um sich scharte und sie für die Sache (und für sich) vereinnahmte. Seine Garderobe bestand vorwiegend aus zwei T-Shirts, eins mit dem Che-Guevara-Stern und eins mit dem Slogan "Kein Hass im wilden Süden". Auf seinem Walkman lief Musik von Bob Dylan und den Goldenen Zitronen. Politiker wollte er werden. Oder Pressesprecher bei den UN. Aber erst nach der Revolution. Die ist ausgeblieben, genauso wie sein beruflicher Durchbruch. Heute arbeitet er als Sozialpädagoge im städtischen Jugendhaus. Nebenher moderiert er bei einem kleinen lokalen Sender eine Diskussionrunde mit dem Titel "Querdenken erwünscht". Den Che-Guevara-Stern trägt er immer noch, am Schlüsselbund oder auf der Kaffeetasse.
 
 

Das Mauerblümchen

   Sie sass immer in der zweiten Reihe, die erste war für die Streber reserviert. Während man sich über die herzlich aufregen konnte, hat man durch sie einfach hindurchgesehen. Wie hiess sie eigentlich noch mal? Während die Coolen der Klasse grossmäulige Sprüche rissen, sich spätpubertär gegenseitig übertrumpften oder giggelnd in der Raucherecke abhingen, beobachtete sie still aus der Ferne oder unterhielt sich mit ihrer Nebensitzerin. Sie schien nicht unglücklich, trotzdem hatte man - wenn man sich überhaupt Gedanken über sie machte - irgendwie ein schlechtes Gewissen. 20 Jahre später bekamen alle eine Mail von ihr. Ihre Kinder seien nun fast erwachsen, daher habe sie Zeit, ein Klassentreffen zu organisieren. Jeder, der ihr geantwortet hat, bekam ein paar verbindliche Zeilen zurück mit persönlichen Fragen, die nur jemand stellen konnte, der früher genau zugehört hat. In die Organsisation hat sie sich reingestürzt wie andere in ein Job-Projekt. Und alle schauten beim Klassentreffen betreten drein, als ihre damalige Nebensitzerin ihr einen Blumenstrauss als Dank überreichte.
 
 

Der Klassendepp

   Da steht er nun, der Mann, den damals alle verspottet hatten. Der Klassendepp, der es keinem recht machen konnte, so sehr er sich auch bemühte. Gut sieht er aus. Ganz unaufgeregt berichtet er von seinem Job, seinen drei Kindern und seiner Frau. Es klingt nach einem guten Leben. Fast möchte man neidisch werden. Doch der einstmals Verschmähte tut dies nicht, um aufzutrumpfen. Das hat er nicht nötig, und während er so erzählt, wie es ihm in den vergangenen Jahren so ergangen ist, strahlt er eine solche Souveränität aus, dass die Runde verschämt schweigt. Kein Wort über die ständigen Hänseleien verliert er, mit dem der Rest der Klasse ihm früher das Leben schwer machte. Kein Wort über das jahrelange Stigma des Klassendepps. Das ist vorbei, denn spätestens jetzt geht auch dem letzten Spötter auf, dass er selbst der Depp war.
 
 

 

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