Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (14. Mai 2017)
 
Stillgestanden
 

   Manchmal ähnelt das Leben einer Sitzung im Wartezimmer. Man wartet eine gefühlte Ewigkeit in der Hoffnung, dass die Sprechstundenhilfe den Namen durchsagt oder sich kurz vor Sonnenuntergang eine Tür zu einem lichten Raum öffnet, wo man endlich eine Diagnose bekommt, eine tiefschürfende Erkenntnis oder wenigstens ein Lächeln.

   Doch am Ende gibt's wieder nur eine Überweisung fürs nächste Wartezimmer. Wo man wiederum wartet. Auf einen echten Frühling. Auf die Rückkehr in die Erste Bundesliga. Auf ein Vorwärts in Frankreich. Auf eine Antwort auf die Frage, was es mit dieser dritten Schulter auf dem Rücken für eine Bewandtnis hat. Und wann, bitte schön, setzt eigentlich dieser ominöse Schulz-Effekt ein?



   Tempi passati. Stattdessen spürt man allerorten eine Art Schnulz-Effekt. Unrasierte, über soziale Gerechtigkeit schwadronierende SPD-Politiker sind plötzlich so was von megaout. Angela Merkel trägt neuerdings ein heiteres Lindner-Gelb mit einem zarten Hauch Realo-Sumpfgrün. Torsten Albig plaudert der "Bunten" aus, dass er sich mit seiner Ex, einer Hausfrau, nicht "auf Augenhöhe" unterhalten konnte. Eine fatale Homestory, die den Mann womöglich seinen Ministerpräsidenten-Job gekostet hat und, was noch schlimmer wiegt, Sympathien beim Deutschen Hausfrauenbund in Bad Oldesloe. Zum Glück für uns alle hat Brigitte Macron eine Vorliebe für High Heels. En marche.

   Jedenfalls ... nach der Wahl ist vor der Qual. Gut möglich, dass Nordrhein-Westfalen aus der Europäischen Union austreten wird. Und am Ende gewinnt beim Eurovision Song Contest eine auf englisch jodelnde Polyester-Unterwäsche, nur leider ohne montenegrinische Zopfpeitsche. Alles wie immer in Europa. Null von zwölf Punkten. Geistiger Stillstand. Und nirgendwo eine Rettungsgasse.

   Auch deswegen ist die These von der Beschleunigung des Lebens durch die Digitalisierung Kokolores. Cloudworking? Ein Euphemismus für die tägliche Staufahrt im Starkregen. Industrie 4.0? Mindestens so doll wie die olle Industrie 3.0, auch wenn keiner weiss, was das war. Das ist ja alles so verwirrend. Vielleicht braucht es eine neue Leithammelkultur.



   Oder einen Schleimpilz. Dabei handelt es sich um ein geheimnisvolles Wesen, das weder Tier noch Mensch, Politiker oder Hausfrau ist. Die Universität in Sydney hat herausgefunden, dass Physarum polycephalum ganz ohne Nervensystem superschlau ist, was ein Trost für alle Ausgebremsten ist. Diese Kreatur verwendet Spuren anderer Schleimer als Informationsquelle und kriecht mit einer Geschwindigkeit von einem Zentimeter pro Stunde über den Untergrund. Das entspricht jenem Tempo, mit dem eine rasende Verteidigungsministerin zurzeit ihren Kopf aus aus der glitschigen Schlinge zu ziehen versucht. Bleibt nur noch abzuwarten, ob es ihr gelingen mag.

 

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