Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (17. September 2017)
 
Finnland muss fallen
 

   Diese Woche vollzog sich wieder jenes traditionsbewehrte Spektakel, das heiligen Ernst mit lässiger Moderne versöhnt und zum beginnenden Herbst gehört wie die vollen Backen der Vorratshaltung betreibender Eichhörnchen. Frühmorgens eröffneten sich die Türen der Einfamilienhäuser und Etagenwohnungen, bleiche Gesichter blinzelten in den Nieselregen, wortkarge Gestalten im Büssergewand von H&M und Zara schulterten Tonnen von Algebra und Latein, stopften Elektronen. Protonen und hundertjährige Kriege in die Rucksäcke und bewegten sich schleppendes Schrittes in Richtung der Bildungsinstitutionen.



   Der Schulbeginn in Deutschland ist eine Prozession, an deren Ende nicht die Erlösung von Sünde und Krankheit steht, sondern die vertraute Labsal des Dösens, Durchkauens, Wiederentlassens und Whatsappens. Untermalt wird das alles vom Knarzen der vernarbten Stühle und dem nervenzerfetzenden Quietschen der Kreide auf einer Schiefertafel - Geräusche, die kein digitaler Bildungsplan jemals verdrängen wird.

   Natürlich gehören Deutschlands Schulen zu den besten und schönsten der Welt - und doch gibt es da eine schwärende Wunde. Zwergstaaten wie Finnland landen in den Vergleichsstudien allzu oft vor uns. Dabei weiss niemand, was man da oben anders oder gar besser macht. Finnische Schüler, die unter einem Vorwand nach Deutschland gelockt und aufs Genaueste vermessen wurden, wiesen keine Auffälligkeiten in Bezug auf ihre Gehirngrösse auf. Bei der Lektüre von Max Frischs "Montauk" oder Hölderlins "Hyperion" schliefen sie exakt an der gleichen Stelle ein, wie ihre deutschen Leidensgenossen. Doch die Industrie lässt nicht locker. Es könne nicht sein, dass Finnland, wo man nicht einmal Autos baue, bessere Schüler produziere als Deutschland. Helsinki müsse endlich fallen, heisst es. Im eskalierenden Wahlkampf kündigten die Parteien Milliarden für eine Bildungsoffensive an. Experten sprechen von einem Unternehmen Barbarossa der Schulpolitik.



   Auf die deutschen Schüler kommen deshalb harte Zeiten zu. Künftig wird jeder von ihnen von vier Lehrkräften betreut, sein Schulranzen wird digitalisiert. Tablets sind obligatorisch, Tabletten bei aufkeimender Unlust, Angst oder Depressionen ebenfalls. Allerdings zeigten sie sich zunächst unbeeindruckt und verfielen rasch in den Zustand der Halbwachheit, mit dem sie auch die vorangegangenen Schuljahre elegant bewältigt hatten.

   Ansonsten war alles wie immer. Die Schulen brummten, der Lehrbetrieb rumpelte, Fliegen summten in den stickigen Klassenzimmern, Kondenswasser tropfte aus den porösen Decken. Die Politik lächelte zufrieden und wandte sich am Ende der Woche wieder anderen Themen zu.

   Finnland ist noch einmal davongekommen.

 

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