Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (17. Juni 2018)
 
Mariniertes Sesamblatt der irdischen Sanftmut
 

   Diese Woche schien es den Deutschen, als stünde ein zweiter Mond am Himmel. Eine runde Erscheinung tunkte nachts die Schlafzimmer, Balkone und Nebenstrassen in mildes Licht und beschien Liebende, Schlaflose und jene, die trunken den Schlüssel ihrer Wohnungstür suchten. Die geisterhafte Erscheinung war nichts anderes als das Gesicht des deutschen Astronauten Alexander Gerst, der aus Tausenden Kilometer Höhe auf die Erde herabblickte und dort eine Sehnsucht nach Frieden jenseits des Alltags der überfüllten U-Bahn, den tiefgründig rumpelnden Tunnelbohrmaschinen von Stuttgart21, der tollwütig herumtreibenden Kinder und des Lärms der Rasenkantenschneider verströmte.

   Dabei wäre seine Mission fast gescheitert. Als seine Kapsel an der ISS-Raumstation angedockt war, fand Gerst beim Herumkramen in seiner Tasche den Schlüssel zur Eingangstür nicht. Er hatte ihn offenbar im Kontrollzentrum auf der Kommode links neben der Toilette liegen lassen. Erst der eilends herbeigerufene Schlüsselnotdienst löste das Problem zum Festpreis von 365 672 Euro.



   Nun führt Gerst mit Eleganz und Präzision seine Experimente im All aus. Er sortiert und trennt Weltraumschrott, züchtet Vielfruchtpalmen, die kein Wasser brauchen, und wird wegen seiner Mischung aus Herzlichkeit und Virilität zum begehrtesten Mann Europas, wenn nicht der ganzen Welt. Die ihm entgegengebrachte Bewunderung ist - das Wortspiel sei gestattet - galaktisch. Der Wagemut, in eine gebrauchte Kapsel russischer Bauart ohne TÜV-Plakette zu steigen. Die Fähigkeit, mit dicken Raumhandschuhen Twittermeldungen abzusetzen. Die Ausdauer, mehrere Tage still zu sitzen. Sein Spitzname "Astro-Alex" dürfte zum beliebtesten Vorname bei Neugeborenen avancieren - noch vor Finn-Maximilian, Emma-Charlotte, Svenja-Leonie und Luca-Leon.

   Offen ist, ob es auch die Vornamen Kim Jong, Jong-un oder Rocketman in die Beliebtheitslisten schaffen werden. Es wäre nicht verwunderlich, denn der Nordkoreaner verwandelte sich unter dem Einfluss des deutschen Mondes diese Woche von einem sardonischen Bösewicht in ein "mariniertes Sesamblatt der irdischen Sanftmut" - eine Spezialität, die auf der nordkoreanischen Reistafel für den himmlischen Frieden zuständig ist. Auch sein Gesprächspartner hatte für das gemeinsame Bankett die europäische Schlachtplatte beseite geräumt und twitterte mit der Leichtigkeit eines koreanischen Mandschurenkranichs entzückende Komplimente in Richtung Pjöngjang.



   Wenn Gerst so weitermacht, werden auch russische Hooligans bei der WM zu Hohepriester der Nächstenliebe. Politiker erwägen deshalb, die Welt dauerhaft in den Zustand der Schwerelosigkeit zu versetzen und Hunderte von lächelnden Astronauten ein paar Fuss hoch über jeder Unruheregion schweben zu lassen. Entsprechende Experimente auf der ISS seien auf guten Wege.
 

 

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