Erst das Weihnachtsgeld,
dann die Digitalisierungsoffensive, Deutschland gibt Vollgas.
Da kann einem schwindelig werden. Und analog war's ja auch irgendwie
schön.

In
dieser Woche schnaufte das Land einmal tief durch. In den Betrieben
gab es einen Dankgottesdienst, eine kleine Polonaise auf allen
vieren oder einen Umtrunk, bei dem der Hausmeister dem verdienten
Kollegen zusammengerollte Banknoten in Nase und Ohr steckte.
Die Untergebenen torkelten nach Hause und stopften ihr Weihnachtsgeld
in jenes riesige Loch, das der sogenannte Black Friday in die
Haushaltskasse gerissen hatte. Dieser Tag und das folgende Wochenende
haben im Kirchenjahr als Epiphania deductionae, also als rabattierte
Offenbarung ihren festen Platz.
Bevor
die Glastüren der Elektronikmärkte und Kaufhäuser von den Gläubigen
zertrümmert werden, spielt man Samsong, ein asiatisches Brettspiel,
bei dem man dem Gegner solange den Finger in die Augen bohrt,
bis ihm schwarz vor den Augen wird (deshalb Black Friday) und
er den Weg zum ersehnten Produkt freigibt.
Die
Regierung hatte ebenfalls eingekauft. Wirtschaftsminister Altmaier
etwa, der das deutsche Handynetz zuvor noch als peinlich kritisierte,
erwarb einen Bagger, einige WLAN-Repeater und mehrere 5G-Beschleunigungstreibsätze
mit Glasfaserkartusche. Damit beginnt jetzt endlich die seit
dem Jahr 1944 geplante Digitalisierungsoffensive in Deutschland.
Zunächst wurde Altmaiers eigener gewaltiger Funkschatten überbrückt
- damit kann Berlin erstmals seit dem Einrücken der Roten Armee
wieder Verbindung mit allen Teilen des Landes aufnehmen. Testläufe
mit dem neuen 5G-Handynetz, wobei draussen auf dem Land herumstehende
Milchkannen als Funkantennen getestet wurden, wurden schleunigst
abgebrochen, da hierbei an Bord der Bundeskanzlermaschine "Konrad
Adenauer" das gesamte Kommunikationsnetz zusammenbrach
und die Bundesregierung ihren Kontakt zur Bevölkerung verlor.
Es
bot sich das erwartete Bild einer zukunftsfesten technologischen
Führungsmacht. In vielen Schulen des Landes werden Tablet-Computer
benutzt, um Löcher in den Decken abzudichten, die neu gelieferten
Röhrenbildschirme dienen nun im Biologieunterricht als Lehr-Aquarien.
Auf dem Pausenhof wird Hash und Tag gespielt, der Gewinner erhält
einen Platz in der Nähe des Münzfernsprechers. Damit nicht genug:
Man habe zwar keine Glasfaser, aber noch Kupferdraht aus Nachkriegsbeständen,
mit dem man die bewährten, aber etwas brüchigen Overheadprojektoren
zusammenbinden könne. Zudem solle bald das abgasarme Euro-3-Netz
verfügbar sein, bei dem man lediglich zweimal an einer Kurbel
drehen müsse, um ein Datenvolumen von 230 Gramm am Stück zu
übermitteln.

Vielen
Pädagogen geht das alles zu schnell. Ein Zuviel an digitaler
Kommunikation sei der Gesellschaft nicht zuträglich, heisst
es. Das friedliche, selbstgenügsame Nebeneinanderherleben der
Deutschen sei in Gefahr. Aus jeder Mücke werde da ein Kommuniaktions-Elefant,
harmonische Tristesse werde einem blindwütigen Hedonismus geopfert,
rammdösige Schüler würden zu digitalen Bildungssklaven und die
bisher schweigende Mehrheit feiere die digitale Verstärkung
der eigenen Dummheit.
Altmaier beruhigte:
Wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen drohten, werde er sich
persönlich jeden Abend ab 18:30 Uhr auf den zentralen Verbindungsknoten
in Berlin setzen und die digitale Kommunikation im Land zum
Erliegen bringen. Die Bürger könnten dann wieder fernsehen,
sich lieben, schweigen oder in den Garten gehen - oder sich
das Weihnachtsgeld analog in die Nase stopfen lassen.
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