Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (30. Dezember 2018)
 
Eisgekühlte Rindsrouladen
 

Was war los 2018? Nun ja, es war vor allem heiss. Nur wer seinen Flüssigkeitshaushalt auf das Niveau eines Feuersalamanders reduzierte, kam durch.



   War das ein Jahr! Es begann wie immer: Vierschanzentournee, Schneeräumen, nebelgraue Tristesse. Die Dreikönige der FDP befreiten das Volk aus der würgenden Knechtschaft des Sozialstaats. Die Münchener Sicherheitskonferenz endete mit einem einmütigen Appell aller Staaten, tagsüber die Terassentür abzuschliessen. Es war lausig kalt in Deutschland, aber da geschah es: Der Besitzer eines Getränkemarktes in Niederbayern hatte eine Vision von ausgetrockneten Feldern, Tierkadavern in sengender Sonne und Grillpartys ohne Bier. Wahrscheinlich war er aber nur betrunken. Dennoch bestellte er fünf zusätzliche Kisten Augustiner hell extra. Bekannte erklärten ihn für verrückt. Doch niemand kann später sagen, er habe nichts gewusst.

   Nach Formierung der grossen Koalition wurde in den Berliner Verhandlungsräumen durchgelüftet. Es bildete sich eine atmosphärische Zusammenballung von Rechthaberei und dem Odeur mumifizierter Volksparteien. Auch in Italien kam es zu absonderlichen Wetterphänomenen. Gläubige einer Bittprozession sahen fünf Sterne am Himmel, die ihnen den Weg aus der Realität wiesen.

   Im Mai verkaufte der niederbayerische Getränkehändler den ersten Extrakasten Bier mit einem kleinen Zuschlag an die örtliche Feuerwehr. Frauen in Saudi-Arabien durften plötzlich Auto fahren, obwohl der Prophet zu verhindern suchte, dass sie auch rückwärts einparken. In Singapur traf der US-Präsident auf eine uniformierte Mittelstreckenrakete. Zuvor hatte man sich Liebesbriefe geschrieben. Es wurde wärmer, ja heiss. Die Nerven lagen blank, in München ermordete ein Reichsbürger eine Drogeriefachverkäuferin, weil sie keine Kühlkompressen mehr im Regal hatte.



   Die Erinnerung an den Sommer zerplatzt wie eine Asphaltblase. Da ist ein Feld aus braunen Stummeln, ein verschwundenes Grün, Bäume, die keinen Schatten mehr geben. Der niederbayerische Getränkehändler erschiesst täglich bis zu zwölf durstige Plünderer. Eine Kugel Eis zerschmilzt, noch ehe man das Wechselgeld in der Hand hat. Alte weisse Männer locken unschuldige Mädchen mit der Aussicht auf eine kalte Limonade in ihre Kellerbar. Restaurants geben eisgekühlte Rindsrouladen aus. Handys flutschen wie Goldfische aus den schweissnassen Händen ihrer Benutzer. Im August ist nichts mehr im Fluss. Gewässer haben weniger Tiefgang als eine Sendung mit Markus Lanz und trocknen dann irgendwann aus. Sie geben ein Archiv aus Müll, verdrängten Erinnerungen, gestohlenen Fahrrädern und dem ganzen Vogelschiss der deutschen Geschichte frei. Der niederbayerische Getränkehändler verkaufte seine beiden letzten Kisten Bier und wird damit zum reichsten Mann Deutschlands.

   Seit November füllt sich Deutschland wieder auf. Ob der alte Pegel an Trunkenheit, Fruchtbarkeit und Fleiss jemals wieder erreicht werden kann? Immerhin weiss das ganze Land jetzt, wie man mit der Dürre umgeht. Volkshochschulen lehren Regentänze, Trockenshampoos verkaufen sich wie blöd. Wer Geld hat, zieht in eine Kläranlage um. Bald wird die Sonne wieder ihr Vernichtungswerk beginnen. Wer zu spät dagegen antrinkt, der ist verloren.
 

 

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