Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (24. Februar 2019)
 
Die Freiheit der Anderslenkenden
 

Seit die gesundheitsfördernde Wirkung blauschwarzen Qualms bewiesen ist, sind Dieselfahrer mit Warnweste die eigentlichen Weltverbesserer.



   Eine neue Protestbewegung macht sich auf den langen Marsch durch die Republik. Zusammengewürfelt aus allen Schichten der Bevölkerung vereint die Teilnehmer ein einziges Ziel. Der Kampf gegen die schleichende Enteignung, gegen die Öködiktatur und Bevormundung durch eine selbstgefällige Kaste von grünen neureichen Nachhaltigskeits-Metropolisten, die aus ihren von Lastenfahrrädern, Cupcakes und veganen Kitas besiedelten Weltverbesserungsnischen heraus die ehrlichen, hart arbeitenden Bürger umerziehen wollen.

   Der Protest ist kreativ. Bei Demonstrationen marschiert man nicht nach vorne, sondern geht rückwärts. Damit zeigen die Rebellen ihre Verbundenheit mit einer Zeit, in der wirllich alles besser war. Eine Zeit, in der deutsche Tugenden wie Fleiss, Ingenieurstolz und Gulasch-Kulinarik geschätzt wurden, in der man nicht genderte, sondern Kinder zeugte.

   Im Mittelpunkt der Proteste steht das Herz der Deutschen, der Diesel. Er soll weiter schlagen, so die Forderung. Unterstützt werden die Demonstrationen von Wissenschaftlern, die mit glasklaren Formeln die gesundheitsfördende Wirkung blauschwarzem Qualms dokumentieren. Danach ist es egal, ob man 34 Zigaretten raucht oder den serienmässigen Dieselinhalator eines modernen Premiumfahrzeugs benutzt. Beides führt zu einer positiven Erweiterung der Realität - einem wohligen Machtempfinden (Linke-Spur-Syndrom), gepaart allerdings mit dem Verlust der Rechenfähigkeit (Pneumatologische Dyskalkulie). Letzteres, so die Experten, sei normal. Im Hauptstrom von Zigaretten und Motoren würden die meisten Kommastellen weggeblasen. Ohne Hilfe der Sekretärin sei es unmöglich, sie wieder zusammen zukehren.



   Doch die Sekretärin ist mit einem Benziner durchgebrannt. Sie schert sich nicht um Kommastellen, um die Tränen der erzwungenen Trennung von Mensch und Maschine und um den erhöhten Blutdruck des ganzen Landes. Der ist im gelben Bereich - ganz nach dem Vorbild Frankreichs. Da alle Warnwesten vorschriftsgemäss in den Autos liegen, holen die Wortführer der Proteste die seit Jahren unbenutzten Tüten aus dem Keller. Beobachter sprechen deshalb von der Rebellion als einer Bewegung der Gelbsäcke, die für die Freiheit der Anderslenkenden kämpft. Die Politik versucht eifrig, sich dieses Momentum zunutze zu machen. Man demonstriert krachende Volksnähe, streift Säcke, Werkstattskittel oder Fantasieuniformen über, hakt sich bei den Rebellen ein und schunkelt auf Demonstrationen zum Lied der Freiheit. T-Shirts mit dem Slogan "Ich bin Deutscher - ich zünde selbst" zeigen technologischen Pragmatismus und luzides Nationalbewusstsein.

   Es ist keine Schande mehr, privat mit einem Diesel zusammen zu leben, ihn zu pflegen, zu lieben und zu ehren. Shoppingsmalls verkaufen Dieselparfüm mit einem Aroma von verschwitztem Lenkrad, DIeselunterhosen und fein angedieselte Kartoffelchips. Diesel-Pistazieneis und ein Sommerdrink namens Rudolf aus Wermut, Sellerie und Raststättenschnaps benebeln alle Sinne in den Strassencafés. Wann das Land ausgedieselt sein wird, weiss im Moment noch niemand.
 

 

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