Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (07. April 2019)
 
Halten wir's Leben fest - auf Video
 

Alle möglichen gesellschaftlichen Randgruppen werden skeptisch beäugt. Aber wer kümmert sich eigentlich um die radikalisierte Mittelschicht?

   Ich bin diese Woche Zeuge geworden, wie eine junge Mutter mit Kinderwagen einen Fussgängerübergang überquerte. Bei Rot! Zur Entlastung der Frau könnte ich erwähnen, dass weit und breit kein Auto zu sehen war und das Kind geschlafen hatte. Gleichwohl hätte ich der Frau das nicht durchgehen lassen dürfen. Wer weiss schon, ob Kleinkinder mit geschlossenen Augen wirklich nichts sehen?

   Das Mindeste, was man von einem verantwortungsbewussten Bürger erwarten dürfte, ist, dass er die Szene filmt und über die sozialen Netzwerke mit allen teilt. Habe ich leider versäumt, aber dafür plädiere ich an dieser Stelle für die Kenzeichenpflicht von Kinderwagen. Ich erwähne das auch deshalb, weil im Mai ja Wahlen anstehen. Eine Kennzeichenpflicht für Kinderwagen hat meines Wissens nach noch keine Partei auf dem Programm. Vielleicht könnte man damit Typen wie mich, die sich zur respektablen, mittlerweise aber sich radikalisierenden Mittelschicht zählen, sehr gut ködern. Ich will nicht zu viel versprechen, aber ich bin Wechselwähler, aber es könnte ja doch hinhauen.



   Ist schon komisch, das Leben. Als aufmüpfiger Jüngling hast du brav George Orwells "1984" gelesen, hast du 1987 bei der Volkszählung den totalitären Überwachungsstaat am Horizont aufziehen sehen - und dann denkst du mit 57 über Nummertafeln für unschuldige Kinderwagen nach. Könnte an der Hormonumstellung liegen, am Klimawandel, aber auch daran, dass der Mensch zu Merkwürdigkeiten neigt, wenn gleich zwei epochale Ereignisse zeitlich eng beieinanderliegen. Ich spreche von der Zeitumstellung am vergangenen Sonntag und dem darauffolgenden Montag, der rein zufällig auf den 1. April fiel.

   Google verzeichnet unter "negative Folgen der Sommerzeit" 663 000 Ergebnisse. Wie viel Aprilscherz-Potenzial darin steckt, verrät Google dabei leider nicht. Wenn man da nicht verwirrt sein darf.

   Auch das Foto, das mir eine Leserin gemailt hat, half kaum gegen diese Konfusion. Die Frau hatte in einem Ausfluglokal ein Schild mit folgenden Spruch entdeckt: "Ein Haus ohne eine Katze ist nur ein Haus." Katzenfreunde mögen darin einen tiefen Sinn entdecken. Als normaler Mensch fällt mir dann dazu ein: "Ein Haus ohne Klapperschlange ist auch nur ein Haus."



   Meine Verwirrung wäre wohl noch grösser, hätte ich mir nicht ein paar freie Tage am Lago Maggiore gegönnt. Auf einem Berg traf ich auf ein junges Paar, das nicht nur den Blick über den Berg genoss. Es liess sich dabei filmen, von einem Flugobjekt, das surrte wie ein Wespenschwarm auf Droge. Mal nahm das Kameraauge der Drohne die Landschaft ins Visier, dann die jungen Leute. So ging das eine halbe Ewigkeit.

   Die Szene brachte mich auf eine Idee: Warum statten wir nicht jeden Neugeborenen auf Erden mit einer Körperkamera aus, einer sogenannten Bodycam, die sein Leben vom ersten Augenblick an festhält? Die ersten 40 Jahre wird gefilmt, dann wird 40 Jahre lang geschaut. Und wenn der Film abgelaufen ist, gibt's lustige Werbeclips und sämtliche Folgen der "Lindenstrasse" bis zum Abwinken.
 

 

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