Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (26. Mai 2019)
 
Überlegt es euch noch mal
 

Früher hatten wir nur Flugangst. Heute kommt die Flugscham dazu. Beobachtungen beim Besuch auf einer Insel, auf der die Autos auf der falschen Seite fahren.

   Es muss nach jener Nacht gewesen sein, in der Madonna vom Stimmbruch überrascht worden war. In einem Zug ging es frühmorgens an die See. Im Grunde nichts besonderes, aber ich fuhr noch nie in einem Zug mit Quiet Couch.



   Quiet Couch ist ein Zugabteil, in dem man ausser den Fahrgeräuschen nichts hört. Theoretisch. Eine Art Andachtsraum auf Schienen. Ob ich da jetzt jetzt einfach durchmarschieren könne, wende ich mich mit fragenden Blicke meiner Begleitung zu. Oder ob es üblich sei, hier die Schuhe auszuziehen und auf Zehenspitzen durchzutrippeln. Kopfschütteln.

   Das letzte Mal war ich vor 20 Jahren auf der Insel. Immer, wenn ich hierherkomme, verliebe ich mich aufs Neue in die Eingebornenen und deren Bräuche und Erfindungen. Ich finde es grossartig, dass es sie nicht zu stören scheint, wenn im Quiet Couch eine Mutter mit Kleinkind mitreist. Gern hätte ich gefragt, ob das Kindergeschrei sie nicht nervt. Aber als Ausländer hält man in einem Quiet Couch lieber die Klappe.

   Falls Sie sich fragen sollten: Und wie bist du auf die Insel gekommen? Ja, ich habe es getan. Ich bin geflogen. Aber ich kann Ihnen sagen, leicht fiel es mir nicht. Zur Flugangst kommt jetzt auch noch die Flugscham hinzu. Insofern haben diese "Friday for Future"-Kids bei mir volle Arbeit geleistet. Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, habe ich beim Buchen des Tickets einen Euro für die Umwelt gespendet. Keine Ahnung, wie der Fachbegriff dafür lautet. Nennt man das, in Anlehnung ans Trinkgeld, Stinkgeld?

   Den Gedanken an den Brexit fand ich bisher unangenehm. Seit meinem Kurzbesuch auf der Insel ist die Vorstellung unerträglich. Kann es wirklich sein, dass wir eine Nation gehen lassen, in der es üblich ist, dass man sich beim Aussteigen aus dem Linienbus beim Fahrer bedankt? Klar, es gibt auch Schattenseiten. Kaum lugt ein Sonnenstrahl durch die Wolken hindurch, reissen sich die männlichen Inselbewohner die Hemden vom Leib. Nobody is perfect.

   Grossartiger Blick vom Café im oberen Stock des Tate-Modern-Museums auf Themse und St-Pauls-Kathedrale. Neben mir nehmen zwei junge Deutsche Platz. Ich habe nicht nach dem Pass gefragt. Ich schliesse aus dem Satz "Ich schau jetzt mal nach veganen Restaurants" auf ihre Herkunft. Dann daddelt sie auf ihrem Schlauphone, während er unweit meiner Nase ein Ei pellt. Dem Geruch nach wurde das Ei schon länger im Rucksack durch London geschleppt.



   Ich habe nichts gegen Veganer. Ich besitze sogar ein Kochbuch mit veganen Gerichten. Hat mir Peta nach einer Glosse über Veganer zugeschickt. Aber was ich hasse, sind eierfressende Pseudo-Veganer, die ihr mitgebrachtes Zeug in einem Londoner Lokal futtern. Aus einer Tüte mit der Aufschrift "Baby Leave Salad" zupft der Eiertyp Salatblätter. Eier und Babysalatblätter! Das ist Mord an ungeborenen Salatköpfen und Hühnern!

   Auf dem Weg zum Flughafen fährt der Bus an einem Blumenladen vorbei, über dessen Eingang "Forget me not" steht. Tue ich nicht, liebe Inselbewohner, ich vergesse euch nicht. Und das mit dem Brexit - überleg es euch noch einmal. Ihr könnt mich doch mit diesen Baby-Leave-Salad-Killern nicht allein lassen.
 

 

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