Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (16. Juni 2019)
 
Labsal bis zum letzten Pils
 

Die stolze Arbeiterpartei SPD sucht einen neuen Chef. Das Anforderungsprofil hat es in sich - aber wer sicht durchsetzt, kriegt  einen Bombenjob.

   Es sind trübe Tage zwischen Herne und Drochtersen, zwischen Pfaffenhofen und Sinzig. Durch die Scheiben der Gaststätten dringt kaum Licht, auf den Schwarz-Weiss-Bildern verwittern die Helden der Arbeiterbewegung, der Zapfhahn tropft mit stoischer Melancholie. In den SPD-Ortsvereinen sitzt man mit aufgestützten Ellenbogen am Tisch und beobachtet, wie die Frikadelle in der Glasvitrine genauso schrumpft wie die Anziehungskraft der Sozialdemokratie. War das nun das Ende? Mit einem Führungstrio der Bedeutungslosigkeit entgegen zu stolpern, das sich schönzutrinken einfach nicht mehr gelingen wollte?



   Dabei hatte man einen so langen Weg zurückgelegt. Brüder zur Sonne ... Lange Zeit wie Aussätzige behandelt gehörte man später zur Speerspitze des Aufbruchs, liess den Wind des Wandels durch die Flure der Republik wehen und bekam auskömmliche Posten in einer sich organisch über das Land ausbreitenden Bürokratie. Man hatte tiefe Täler durchwandert und lichte Höhen erklommen. Doch irgendwann war das Volk verloren gegangen. Und heute dringt kein Arbeiterlied mehr aus den Wohnzimmern, sondern nur noch das fahl flackernde Licht der Bildschirme, in denen Youtube-Helden idiologiefreie Weisheiten in die Welt schleudern.

   Doch aufgeben kommt für eine so stolze Partei nicht infrage. Man benötige jetzt einen Chef mit Charisma, heisst es. An der Basis löste das Ratlosigkeit aus, verband man mit dem Wort Charisma bisher eine arabische Zweitfrau oder die Kichererbsencreme von der Imbissbude zwei Strassen weiter. Eine Recherche ergab: Charisma ist das , was Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder hatten - eine Ausstrahlung, ein Glanz und ein Feuer, das die meisten Ortsvereine schon lange nicht mehr erwärmt. Die kommende SPD-Führungsriege müsste die melancholische Maskulinität Brandts haben, auf dessen erotische Ausschweifungen aber verzichten, heisst es. Sie dürfe, wie Andrea Nahles auch mal quietschen, ohne an Seriösität zu verlieren. Sie verfüge über den rotzigen Facharbeiter-Fussball-Kumpel-Charme Schröders - gepaart mit digitaler Lässigkeit - und nicht zuletzt über das juventile, aber ordnungspolitisch gezähmte Aufbegehren eines Kevin Kühnert.



   Den Bewerbern steht ein nervenzerfetzendes Auswahlverfahren bevor. Wer sich am Ende durchsetzt, dem winken Vergünstigungen, aber auch Pflichten. Er bekommt einen Dreimonatsvertrag als SPD-Chef, ein Fotoshooting in einem Stahlwerk und die Erlaubnis, im Karneval mit einer Herbert-Wehner-Maske herumzulaufen. Auf Parteitagen muss er Reden halten, in denen es um den modernen Sozialstaat geht, der auch der jungen Generation Luft zum Atmen ... und so weiter. Er muss der Basis Labsal bis zum letzten Pils spenden und seine Abneigung gegen Windjacken und gemusterte Wollpullunder verbergen.

   So wartet man zwischen Jena und Gerolzhofen auf den Erlöser. Die politische Konkurrenz blickt aelbst schon sorgenvoll auf das eigene, bereits abgenutzte Personal. Doch die SPD zeigt sich grosszügig. Man werde den neuen Chef gegen eine moderate Leasinggebühr an jede andere Partei ausleihen, die ähnlich ausgeblutet ist.
 

 

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