Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (23. Juni 2019)
 
Strukturwandel der Blödheit
 

Während Andreas Scheuer in Luxemburg mit der Maut gegen die Wand fährt, warnt Heiko Maas vor dem Weltunfall. Und Jürgen Habermas? Kann keiner bremsen.

   Unsere herzlichen Glückwünsche gehen diese Woche an Jürgen Habermas, dem Top-Influencer der 60er und 70er Jahre. Für alle Kulturverächter, Youtube-Leser und Freunde lauer Fernsehfussballabende ohne allzu viel Analysevermögen: Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas ist und bleibt nach Lothar Matthäus und Rezo die führende künstliche Intelligenz in Deutschland und womöglich der Allerletzte in diesem Land, der noch die Gross- und Kleinschreibung fliessend beherrscht.



   Dieser Tage feierte also der letzte Spross der Frankfurter Schule seinen 90. Geburtstag, womit er beinahe so alt wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der Frauenfussball und das Bauhaus ist. Tatsächlich gilt Habermas in gewissen universitären Kreisen südlich der Benrather Linie als klassiche geisteswissenschaftlioche Schönheit, formvollendet wie eine graumelierte Wagenfeld-Lampe, so erotisch wie ein kompostiertes Suhrkamp-Taschenbuch auf einem nassgeschwitzten Bettlaken in einer rauchgeschwängerten Studentenbude morgens um halb vier.

   Jürgen Habermas verstehen heisst stets, auf die Rede, den eingeschobenen Relativsatz und die Kraft des Arguments zu vertrauen, selbst wenn der andere ein strammer Rechtsausleger ist. Besonders christliche Politiker halten bis heute ihre Habermas-Bibeln in Ehren und greifen ins Buchregal, wenn ihr Leben etwas Abstraktion benötigt. Annegret Kramp-Karrenbauer beispielsweise liest schon seit vielen Jahren am Vorwort der zwei Bände von "Theorie des kommunikativen Handels", fällt aber spätestens beim Begriff der "idealen Sprechaktsituation" jedes Mal in komatösen Tiefschlaf. Der Verkehrsminister Andreas Scheuer widerum verwendet Habermas neueste, gut anderthalbtausend Seiten zählende Abhandlung über die Religion als Unterlegkeil für seinen alten BMW. Keine Frage, wer Jürgen Habermas schätzt, mag auch die Demokratie, sackartige Herrenanzüge, Eselsohren, Mietpreisdeckel, Fremdwörter, Friedenspreise, volle Aschenbecher und Carolin Emkes Helmfrisur,

   Einst haben sich die Achtundsechziger mit Habermas' Schriften in andere Bewustseinsspähren gelesen, seine Bücher wurden zum Rauschmittel einer moderat linksliberalen Gutbürgerschaft. Verfassungspatriotismus war plötzlich sexy, nuschelnde Typen mit Lippenspalten ebenso. Wer nicht mindestens zwei Seiten aus dem Band über "Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus" auswendig herunterbeten konnte, musste nach der peppigen Sandalenparty im Sozialistischen Studentenbund alleine pennen gehen.



   Schön war es. Heute freilich können nur noch die wenigsten in der Fussgängerzone etwas mit dem Namen Habermas anfangen und verwechseln ihn mit Hafermus, einem neuen Porridge-Rezept für Veganer. Oder mit diesem unablässig Warnungen vor sich hin tweetenden Heiko Maas, der als Aussenminister fast so viele Flugmeilen gesammelt hat wie Habermas' Lebenswerk Seiten umfasst, nur leider ohne dessen Erfolg. Man liest einfach weniger. Und wenn, dann höchstens mal die Packungsbeilage einer Sonnenschutzmilch, Greta Thunbergs exzellentes Schulzeugnis oder ein Kinderbuch von Robert Habeck. Das muss auch mal reichen.
 

 

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