Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (11. August 2019)
 
Man spricht ein wenig Deutsch
 

Deutsch ist eine erstklassige Sprache. Im tiefen Sommerloch wütet ein Empörungssturm. Und Clemens Tönnies und Boris Palmer brauchen dringend eine Redepause.

   In den 90er Jahren wurde im Bildungsbreich noch ganz anders gesprochen, mitunter verständlicher und ohne vorgehaltene Hand. Man moralisierte und inkludierte weniger, dafür forderte man wesentlich mehr.



   Als zum Beispiel in einem Hauptseminar der Politikwissenschaftlichen Fakultät einer süddeutschen Universität ein junger Mann von der Schwäbischen Alb seinen Vortrag zur Demokratiezufriedenheit der Deutschen im breiten Älbler Dialekt vor versammeltem Plenum aus aller Welt hielt, unterbrach ihn der Professor - ein überaus freundlicher Mensch, gebürtig aus der Eifel - grinsend nach etwa 15 Minuten, heiter in die Runde fragend: "Und, hat irgendjemand ein einziges Wort verstanden?"

   Alle schüttelten die Köpfe, wobei es weder um Inhalt noch um Lautstärke ging. "Sehen Sie, mir geht es so wie Ihnen", sagte der Professor und erklärte daraufhin den anspruchsvollen Mundartvortrag vorzeitig für beendet. Der Student wurde ohne Schein aus dem Seminar nach Hause geschickt, mit der Aufgabe, bis zum nächsten Mal seine Thesen in einem akzeptablen Deutsch, im Zweifelsfall in englischer Sprache vorzutragen. Der Kommiltone war erst peinlich berührt, dann sichtlich empört, schliesslich doch einsichtig. Einige Wochen später erhielt er seinen Prüfungsnachweis für einen allgemein verständlichen Redebeitrag.

   Heute würde man diesen renomierten Demokratieforscher auf Instagram und Twitter möglicherweise als Schwabenhasser, als weissen alten Mann und rechten Spinner brandmarken und anschliessend auf dem Universitätsparkplatz zusammenschlagen. Und das nur, weil der Hochschullehrer etwas Selbstverständliches eingefordert hat. Engagement sowie Respekt vor anderen. So ähnlich ergeht es zur Zeit dem CDU-Politiker Carsten Linnemann, der mitten im Sommerloch einen linksblasenden Sturm der Entrüstung entfacht hat, nachdem er die zweifelsohne oft mangelhaften Deutschkenntnisse von Migrantenkindern thematisiert und die Einführung von Standardkenntnissen bei der Einschulung gefordert hat.



   Man kann sich über die Details von Linnemanns Vorschlägen streiten und sich ärgern, dass er nur Migrantenkinder und nicht auch die steigende Anzahl von deutschen Erstklässlern erwähnt hat, die ebenfalls von Haus aus kaum mehr richtig Deutsch sprechen können. Viele Lehrer leiden im Stillen, jammern nur hinter vorgehaltener Hand. Doch als sogenanntes Migrantenkind will man angesichts der grassierenden Denk- und Debattierverbote bloss mit den Augen rollen und in verständlichstem Schulschwäbisch gen Himmel rufen "Herr, schmeiss Hirn ra!"

   Nicht jeder in diesem schönen und gastfreundlichen Land ist sofort inklusionsfähig, beim besten Willen nicht. Trotzdem haben die meisten eine zweite Chance verdient, um an ihrer Kommunikationsfähigkeit und Ankommenskultur zu arbeiten. Das gilt für die Eltern mancher Migrantenkinder genauso wie für alle Freibadbesucher, Clemens Tönnies, Boris Palmer und all jene Dauerempörten, die das Klima nur unnötig zusätzlich aufheizen. Wie wär es mit einer Extrarunde zur Abkühlung? Oder einer Steuererhöhung auf zu viel Heuchelei?
 

 

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