Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (09. Februar 2020)
 
Opium fürs fahrende Volk
 

Dinge der Woche Leute, die sich früher für Kommunismus interessiert haben, könnten sich auch für diesen Artikel interessieren. Und Leute, die gegen ein Tempolimit auf Autobahnen sind.



   Früher war ich Kommunist. Also das, was man in jungen fahren halt so unter Kommunist versteht. Ich trug lange Haare und duschte selten. Dass ich mich von der reinen Lehre verabschiedet habe, lag an einem gewissen Herrn Marx. Bei einer Studienfahrt nach Prag kaufte ich in einer DDR-Buchhandlung sämtliche drei „Kapital“-Bände, bin über die erste Seite allerdings nie hinausgekommen. Bereits nach den ersten Sätzen war mir klar, dass Marx mich nicht gemeint haben konnte. Sonst hätte er seine „Kritik der politischen Ökonomie“ in einfacher Sprache verfasst. Oder als Comic.

   Ich glaube, wenn man jung ist, ist man anfällig für Männer mit Rauschebart. Vielleicht ist das der Grund, warum Vollbärte wieder in Mode kamen. Weil es keine alten Bärte mehr gab, ließen die jungen sich welche stehen und nahmen sich selbst zum Vorbild. Passt in eine Zeit, in der sich alle elf Minuten ein Single über Parship in sich selbst verliebt.

   Keine Ahnung, von wem ich den geklaut habe. Sie finden, der Witz hat einen Bart? Okay, was ich eigentlich sagen will, ist dies: Das politische Bewusstsein, für das man in jungen Jahren einsteht, hat selten mit Politik zu tun. Zumindest in meinem Fall war das so - und ich fürchte, daran hat sich auch wenig geändert. Hätte ich etwa früher schnallt, dass sich in der Jungen Union attraktive Frauen rumtreiben, wäre meine Sozialisation anders verlaufen. Aber die Jungunionisten bei mir an der Schule waren Bleichgesichter mit Pickeln.

   Jetzt wäre es eigentlich an der Zeit, aus dramaturgischen Gründen ein paar nette Worte an die FDP zu richten. Aber nach dieser Woche fällt das nicht leicht. So wenig, wie es FDP-Chef Lindner leichtgefallen ist, einem der Seinen zum Ministerpräsidentenposten zu gratulieren. Ist ja auch schwierig, da geht einer mit dem Wahlkampfspruch „Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat“ ins Rennen. Und dann wird er von denen gewählt, die in Geschichte gepennt haben. Vergessen Sie’s. Ist bereits Geschichte.

   Als Wechselwähler wirst du zunehmend verwirrt in diesem Land. Die einzige politische Konstante, auf die ich mich in all den Jahren verlassen konnte, war der ADAC. Aber auch der verunsichert mich zusehends, musste ich doch kürzlich lesen, dass der Verein über ein Tempolimit auf Autobahnen nachdenke. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin kein Raser, das lässt schon mein Fuhrpark nicht zu, bin ich doch im Besitz eines Smart und eines höchst betagten Volkswagens. Hatte der VW ein paar Jahre mehr auf dem Buckel, würde er als Kraft-durch-Freude-Wagen durchgehen.



   Mit so Mühlen geht man behutsam auf die Strecke, da ist man dem Standstreifen näher als der Überholspur. Auch gehöre ich zu jenem Menschenschlag, der nach jedem Frankreichurlaub über das entspannte Fahren auf der Autoroute schwärmt. Gleichwohl fände ich es schön, wenn man in diesem Land weiter in der Hoffnung leben dürfte, irgendwann mal ein bissle die Sau rauslassen zu können. Im Gegenzug trenne ich weiter meinen Müll, fahre tapfer Bahn und finde Fridays-for-Future-Demos cool.

   Schnellfahren fällt bei mir unter die Kategorie Opium fürs fahrende Volk.
 

 

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