Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (15. März 2020)
 
Nach dem Lesen Hände waschen!
 

Dinge der Woche: Corona verbreitet sich überall, nur nicht in unseren Fussballstadien. Die Deutschen horten Tütensuppen statt Thomas-Mann-Romane. Und Meerschweinchen sind ausverkauft.

   Das Deutschland immer noch das gelobte Land der Dichter und Denker ist, kann man an der Tatsache erkennen, dass aus Angst vor der weiteren Ausbreitung des Coronavirus ruck zuck die Leipziger Buchmesse abgesagt worden ist, nicht aber diverse Fussballspiele wie die angebliche Spitzenbegegnung Stuttgart gegen Bielefeld.

   Das beweist zum einen, dass so ein Strafraum kein Sperrgebiet sein muss, Geisterspiele mindestens so angsteinflössend sind wie Südtirol-Rückkehrer sind und Bielefeld kein Gerücht ist, sondern eine schwere Heimsuchung, gegen die man sich in der Zweiten Bundesliga noch nicht impfen lassen kann.



   Andererseits wird der Besitz von Büchern heutzutage schon als gefährliche Vorerkrankung eingestuft, weshalb von der Lektüre bakterieller Belleristik dringend abgeraten wird. Wer als halbtoter Bildungsbürger alter Schule das "Decamerone" von Giovanni Boccaccio im Billy-Regal stehen hat, ein derzeit viel zitiertes Werk der Weltliteratur, welches der Florentiner 1348 vor dem Hintergrund des Pestepidemie schrieb, gilt als Risikopatient mit italophiler Infektionskette und muss zwei Wochen besser zwei Jahre unter Quarantäne gestellt werden.

   Stadionbesuche hingegen förderten, so heisst es vielerorts, die Frischluftzufuhr im Verein und den sozialen Zusammenhalt der ohnehin gespaltenen deutschen Gesellschaft, die seit einer anderen unheilbaren Viruserkrankung auf dem einem Auge annähernd blind ist. Das reicht aber noch nicht für ein telefonisches Attest.

   Zu den empfohlenen antiviralen Massnahmen gehört für alle Fussballfans bis auf Weiteres: Beim Tor der eigenen Mannschaft bitte in die Armbeuge gröhlen! Die Stadionwurst vor dem Verzehr in Alkohol tunken! Und vor und nach dem Schmähgesang gegen Dietmar Hopp möglichst auf die Mundhygiene achten und mit Kernseife ausgiebig spülen!

   Jens Spahn hat jedenfalls alles unter Kontrolle. Er wirkt noch jung, gesund, unbelesen und gibt jedem Kiez-Virologen die Ghetto-Faust. Der Bundesminister für Krankheit hat sich lediglich ein Selfie-Stopp verordnet. Für ihn ein riesiges Opfer. Doch Panik sei fehl am Platze, sagen alle. Das gilt übrigens auch für den Humor. Unachtsames Lachen scheint ansteckend zu sein - anders als eine Grossveranstaltung im Volkssport. Die Grünen überlegen deswegen, alle Satiriker, die sich nicht über Friedrich Merz, Woody Allen oder ähnlich alte weisse Männer lustig machen, verbieten zu lassen. Kurzum, 2015 darf sich nicht wiederholen!



   Dass die Kultur eine wichtige Rolle spielt, sieht man auch im Handel, wo Tütensuppen und Toilettenpapier statt Thomas-Mann-Romane über lungenkranke Helden ausverkauft sind. Die Hamsterverkäufe sind glücklicherweise seltener geworden, dafür sind jetzt die Meerschweinchen dran. Renommierte Buchverlage überlegen aus wirtschaftlichen Gründen, künftig ihre Bestseller auf ungebleichtem Klopapier drucken zu lassen. Die Krise macht erfinderisch. Notfalls können auch Glossen wie diese in der Nasszelle zum Einsatz kommen. Danach aber unnnbedingt die Hände waschen!
 

 

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