Dinge, so oder so

 

Die Dinge der Woche (25. Oktober 2020)
 
Schüttelfrost bei Lauterbach
 

Dinge der Woche: Deutschland bekämpft seine Corona-Angst und atmet sich die Resilienz herbei. Gesichter auf Masken helfen da aber auch nicht weiter.

   Deutschland erlebt Tage, die wie kalter Grüntee schmecken und einen grauen Nebel über die Seele legen. Tage, an denen die Kunst des aneinander Vorbeischauens zur Hochblüte kommt. Verstohlen wird die Maske des Gegenübers gemustert. Was bedeutet dieser Kussmund? Das Gesicht von Peter Altmeier oder der aufgemalte Schnurrbart, der sogenannte Pornobalken?



   Das RKI gibt Handreichungen im Maskendschungel: Goldene herabhängende Ohrenschlaufen mit freier Schlaufe sind jenen Personen vorbehalten, die vier negative Corona-Tests vorweisen können. Porträts von Corona-Leugnern auf der Maske müssen dem zuständigen Hausblockwart gemeldet werden. Ansonsten gilt die Ampel: Rot für die erfolgreiche Abwehr von mindestens zehn Hochrisikokontakten, Gelb für sechs Monate Homeoffice mit Familie und Grün bekommt sowieso niemand.

   Auch die weiteren Vorschriften sind glasklar: In Bayern ist Ausatmen verboten, in NRW ist alles verboten, in Baden-Württemberg auch - aber nur in geschlossenen Privaträumen. In Thüringen dürfen Lehrer vor 11 Uhr keinen Alkohol trinken, in Mecklenburg können nur zwei Blutsverwandte in einen Strandkorb. In Hessen sind fünf Jugendliche vier zu viel, in Berlin ist alles egal.

   Dennoch wird immer drängender die Frage gestellt, wie wir durch den Herbst und Winter kommen. Lustvolle Extravaganzen helfen nicht mehr. Eine Mahnrede der Kanzlerin lässt sich nicht einmal mit botanisiertem Pfefferminzlikör schöntrinken. Die Liebe steht unter Generalverdacht und beschränkt sich auf das gemeinsame Gurgeln mit desinfizierendem Mundwasser unter Einhaltung des Mindesabstands - oder auf die Umarmung eines Hefepilzes.

   Psychologen raten dazu, Resilienz zu trainieren. In Alltagssprache übersetzt heisst das: Man soll die übliche Wurschtigkeit zu einer Ekstase der Gleichgültigkeit steigern und auf neue R-Zahlen und Infektionsszenarien mit einem nashornähnlichen Grunzen reagieren. Wenn das nicht helfe, müsse man seine Angst da durch bekämpfen, dass man an einen unbekannten Ort geht - also in eine katholische Kirche etwa - oder einfach mal Majo statt Ketchup auf die Pommes quetscht. Am Ende der Immunisierungsstrategie steht das Anhören eines halbstündigen Telefon-Interviews mit Karl Lauterbach - wer das durchsteht, ohne mit Schüttelfrost, Geschmacksverlust oder Krampfschluchzen zu reagieren, hat einen Resilienzfaktor knapp unterhalb der Totalimmunität und kann sich in jede illegale Party stürzen.



   Krisenresiliente Yogalehrer raten zum Atmen - ungeachtet aller Verbote. Der Atem habe wesentlich zum Überleben der Menschheit beigetragen - neben den allgegenwärtigen Serien privater Streamingsdienste. Deutschland fing in dieser Woche also an, heimlich tief zu atmen. Die Menschen atmeten so tief in sich hinein, dass sie erst nach Tagen wieder herausfanden. Sie lächelten rote Ampeln zu und sahen, wie die Wolken den Blick auf das Universum freigaben. Dort oben sass jener Virologe mit der Engelsfrisur und spielte auf seiner Harfe. Seine Botschaft: Noch acht Monate bis Bundestagwahl - pardon - Impfbeginn.
 

 

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